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Historische Aufzeichnungen
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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0 Wolfgang Müller-Funk Reichs zu sein. Im Grunde sieht Roth sich schon seit 1918 als Exilant. In einer Er- zählung, gewiss nicht seiner besten, aber programmatischsten, lässt er sein Alter Ego, seine Wunschfigur, einen polyglotten polnischen Grafen, zusammen mit dessen jüdi- schem Freund in einem galizischen Grenznest die Büste des Kaisers, als Symbol für das untergegangene Reich, zu Grabe tragen. So wird die spezifisch jüdische Version der Diaspora, die Gottferne, der Verlust des Tempels und die Idee des guten Herr- schers miteinander verschränkt und auf eine höchst eigenwillige Weise mit dem habs- burgischen Mythos verbunden. Der Autor von Radetzkymarsch wird zum Erfinder des Habsburgischen Mythos in einer ganz spezifischen, nämlich deutsch-kritischen Version, aus dem Blickwinkel einer imaginären slawischen und jüdischen peripheren Topografie. Die Habsburger- monarchie ersteht retrospektiv auf : Roth war sich im entschiedenen Widerspruch zu allen klassischen Identitätsdiskursen, die auf Authentizität, nationaler Identitätspoli- tik und essenzialistischen Konstruktionen basieren, des konstruktiven Aspekts jenes schillernden Phänomens „Identität“ durchaus bewusst, wie das Maskenspiel mit der Biografie, in der er sich immer wieder neue Herkunftsgeschichten ausdenkt, zeigt. In diesem Sinn setzt Roth ein narratives Spiel der Identitäten in Gang, das den klassischen Identitätsdiskurs „außer Kurs“ setzt. In seinem Œuvre wird das jüdische Element nicht „Verdrängt“, wie Morgenstern suggeriert, wohl aber sichtbar verschoben. In mindestens zwei bedeutenden literarischen Werken der österreichischen Literatur ist das Ostju- dentum, Roths „Herkunft“, von zentraler Bedeutung : in der Erzählung Der Leviathan und im Roman Hiob – in beiden Fällen geht es um den Untergang der ostjüdischen Welt als Folge einer „sich globalisierenden“ Moderne. Das bei Roth im Unterschied zu Morgenstern märchenhaft verfremdete Ostjudentum ist nicht Exekutor, sondern viel- mehr Opfer der modernen kapitalistischen Ökonomie. Diese trägt, etwa in Leviathan, eine ethnische Charaktermaske in Gestalt des ungarischen Neu-Amerikaners Jenö La- katos. In beiden literarischen Texten, der Erzählung und dem Roman, geht es um den Niedergang der ostjüdischen Kultur vor der Shoah, die Roth selbst nicht mehr in all ihren grässlichen Ausmaßen erlebt, deren Möglichkeit er aber sehr wohl in Erwägung gezogen hat. Trotz aller Brüche in Joseph Roths persönlichen und politischen Iden- titätskonstruktionen – Kriegsheimkehrer und linker Intellektueller in der Weimarer Vgl. Hansotto Ausserhofer, Joseph Roth und das Judentum, Diss. Univ. Bonn 1970 ; Frank Joachim Eggers, „Ich bin ein Katholik mit jüdischem Gehirn“. Modernitätskritik und Religion bei Joseph Roth und Franz Werfel, Bern u. a. 1996 ; Eva Raffel, Vertraute Fremde. Das östliche Judentum im Werk von Joseph Roth und Arnold Zweig, Tübingen 2002. Claudio Magris, Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur, aus dem Italieni- schen von Madeleine von Pásztory und Renate Lunzer, Wien 2000, S. 303–314. David Bronsen, Joseph Roth. Eine Biographie, Köln 1974, München 1981 (= 2. überarb. Aufl.), S. 29–42.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Subtitle
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Author
Frank Stern
Editor
Barabara Eichinger
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2009
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78317-6
Size
17.0 x 24.0 cm
Pages
558
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort XI
  2. Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
  3. Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
  4. Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
  5. Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
  6. „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
  7. Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
  8. Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
  9. Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
  10. Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
  11. Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
  12. Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
  13. Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
  14. „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
  15. Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
  16. Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
  17. „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
  18. „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
  19. Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
  20. From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
  21. Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
  22. Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
  23. David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
  24. Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
  25. Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
  26. Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
  27. Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
  28. „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
  29. Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
  30. Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
  31. Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
  32. Personenregister 491
  33. Sachregister 503
  34. Biografien 519
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