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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Wolfgang Müller-Funk Juden auf Wanderschaft hat Roth sein wichtigstes Werk zum Thema überschrie- ben und damit zugleich eine Definition dessen gegeben, was Judentum für ihn im Kern bedeutet : nicht endende Wanderschaft, permanente Migration. Was er in dem Essay konstruiert und simuliert, ist eine Sympathie gleichsam von außen, die Empa- thie eines mitfühlenden Chronisten, der für sich Vertrautheit mit dem Phänomen reklamiert, sich aber nicht mit dem Ostjudentum identifiziert. In seiner Einleitung bekräftigt er polemisch, wen er sich nicht als Leserschaft dieses Buches wünscht, näm- lich „jene, die ihre eigenen, durch einen Zufall der Baracke entronnenen Väter oder Vorväter verleugnen“, sowie jene, „die es dem Autor übelnehmen würden, daß er den Gegenstand seiner Darstellung mit Liebe behandelt, statt mit ,wissenschaftlicher Sachlichkeit‘, die man auch Langeweile nennt.“ 9 Diese Absage an den distanzierenden Geist der Wissenschaft liest sich beinahe wie eine Antwort auf den Vorwurf Morgensterns, dass Roths Position damit zu tun habe, dass er sich seiner Herkunft und seiner Vaterlosigkeit schäme und sich deshalb beständig eine andere, vornehmere Herkunft herbeischreibe. 0 Ohne Morgenstern namentlich zu erwähnen, begegnet Roth diesem Vorwurf damit, dass er einen Text schreibt, der als eine sehr persönliche Mnemosyne an die im Verschwinden begrif- fene jüdische Kultur gelesen werden soll, die einen Akt aktiven und widerständigen Erinnerns markiert, ein Gedenken, das aber – anders als im Falle von Morgensterns Trilogie – nicht von innen her vorgenommen wird, sondern mit einer erzählerischen Außenperspektive spielt. Trotz dieser Absage an eine vermeintliche Sachlichkeit wie ein schamerfülltes Ver- gessen der eigenen Herkunft vermeidet Roth nämlich das sich selbst einbeziehende „Wir“ und ersetzt es – im Gegensatz zu den Memoiren Sperbers und Morgensterns – durch ein distanzierendes „sie“. Das ist ein Mittelweg eines mit dem Raum vertrau- ten Menschen, der sich in der Öffentlichkeit zuweilen als „Ost-Phalen“, nicht aber als Juden (obschon er sich im jüdischen Tempel trauen ließ) bezeichnet, sich aber gleich- wohl nicht vollständig mit dem ostjüdischen „Komplex“ identifiziert. So spricht er vom Schmerz und Schmutz der ostjüdischen Welt und von der Würde derer, die in diesem Elend der Peripherie „menschliche Größe“ bewahren. Der Raum, den die Juden besiedeln, wird, um ein heutiges, unschönes Wort zu gebrauchen, als „hybrid“ charakterisiert : „Nur im Orient leben noch Menschen, die sich um ihre ,Nationalität‘, das heißt Zugehörigkeit zu einer ,Nation‘ nach westeuro- päischen Begriffen nicht kümmern. Sie sprechen mehrere Sprachen und sind ein Pro- Roth, Juden auf Wanderschaft, S. 827. 0 Morgenstern, Flucht, S. 31 ; Bronsen, Roth, S. 35. Roth, Juden auf Wanderschaft, S. 827.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Subtitle
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Author
Frank Stern
Editor
Barabara Eichinger
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2009
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78317-6
Size
17.0 x 24.0 cm
Pages
558
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort XI
  2. Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
  3. Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
  4. Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
  5. Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
  6. „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
  7. Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
  8. Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
  9. Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
  10. Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
  11. Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
  12. Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
  13. Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
  14. „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
  15. Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
  16. Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
  17. „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
  18. „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
  19. Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
  20. From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
  21. Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
  22. Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
  23. David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
  24. Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
  25. Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
  26. Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
  27. Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
  28. „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
  29. Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
  30. Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
  31. Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
  32. Personenregister 491
  33. Sachregister 503
  34. Biografien 519
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