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„Schund“, „Jargon“ und schöner Schein
Diese Form der Anpassung auf sprachlicher Ebene ist eine grundlegende jüdische
Erfahrung der Zwischenkriegszeit ; und das jüdische Theater spiegelt diese Erfahrung
in mehrfacher Hinsicht.
Sprachliche Akkulturation findet sich in allen möglichen Schattierungen in über-
lieferten Theatertexten, in denen etwa jeder Generation einer Familie eine unter-
schiedliche Sprachform zugewiesen wird (Großvater-jiddisch ; Eltern-wienerisch oder
böhmisch oder wienerisch-böhmisch mit jiddischen Einsprengseln ; Kinder-hoch-
deutsch ).
Diese Erfahrung und der Druck zur sprachlichen Anpassung spiegeln sich weiters
in Dokumenten wie dem oben zitierten Schreiben ; aber auch in der Rezeption des
jüdischen Theaters, sei es in jiddischer oder deutscher Sprache.
„Jargontheater“ und „Theater im Jargon“ bezeichnete aber nicht nur jiddische
Theateraufführungen, sondern auch sogenannte „Jargonschwänke“ und „Judenstü-
cke“, die in den Zwanzigerjahren sehr populär waren. In diesen Theatertexten geht es
meist um Einwandererfamilien, die auf komische Weise dargestellt werden, sprachlich
sind diese Texte zwischen Deutsch, Wienerisch, Böhmisch und Jiddisch angesiedelt,
ausgeformt je nach Figur und Milieu. Besonders diese Theaterstücke mit jüdischen
Figuren, die einen wienerisch-jüdischen Dialekt sprechen, wurden von einem Teil
der Juden als sehr problematisch empfunden. Davon zeugen heftige zeitgenössische
Diskurse, wie auch folgender Artikel belegt. „Das ‚Jüdeln‘“ von P. Haller erschien
am 12. Mai 1926 in der zionistischen Wiener Morgenzeitung, berichtet wird darin von
einer „Protestversammlung gegen das Jüdeln“, die der assimilatorisch ausgerichtete
„Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ veranstaltet hatte. Haller
beschreibt die Versammlung als „[…] ein löbliches Unternehmen und ebenso löblich
waren die Enunziationen der deutschen Presse, die ihr folgten. In diesen wie in je-
ner kommt die Entrüstung über die ‚Verhöhnung der jüdischen Religion‘ in Theater,
Kabaretts usw. zum Ausdruck, inhaltlich und sprachlich geübt, mit den Mitteln des
bekannten, jüdisches Wesen wiedergeben wollenden, karikierenden Witz- und Anek-
dotengenres.“
Im Weiteren führt Haller aus, dass „die Revolte gegen das Jüdeln“ selbstverständ-
lich sei „[…] bei jenen, welche das Judentum bejahen, ihm die Fortentwicklungs-
Vgl. etwa Fritz Löhner-Beda, Der getaufte Enkel (Spielfassung), in : Niederösterreichisches Landesarchiv,
Theaterzensursammlung, Karton 729.
Zum Diskurs um jüdische Identität, Antisemitismus und jüdischen Selbsthass und die Verbindungen
zur jiddischen Sprache, zum „Jargon“ und zum „Jüdeln“ in Bezug auf Theaterereignisse vgl. Brigitte
Dalinger, „Trauerspiele mit Gesang und Tanz“. Zur Ästhetik und Dramaturgie der jüdischen Dramatik.
Habilitationsschrift, Wien 2003, S. 52f. Der hier folgende Passus aus P. Hallers Artikel und dessen Aus-
legung ist dieser Arbeit entnommen.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519