Page - 455 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Imago und Vergessen
pen und Volkshelden wie der Fußballer Uridil, die Mode, das Radio, der Wein „Der
stille Zecher“, das Essen „Powidltatschkerl“ und „Schinkenfleckerl“, Vergnügungen
„Schön ist so ein Ringelspiel“, soziale Verhältnisse wie die Arbeitslosigkeit im „Fix-
angestellten“. Leopoldi schaffte es in den späten Dreißigerjahren, mit „Klein aber
mein, Jeder hat ein Vaterland“ (Text Beda) aus der Revue Wien, alles aussteigen ein
Lied zu kreieren, das den Bundeskanzler Schuschnigg tief beeindruckte : „[…] doch
die Größe machts ja nicht bloß, man kann klein sein und trotzdem noch groß […]
wir stehn doch in allererster Reih, denn erst kommt Österreich und dann kommt lang
nichts […] Jeder hat ein Vaterland. Meines liegt am Donaustrand. Größ’re gibt es
ringsherum, schön’re aber nimmermehr, […] keines kommt dir an Schönheit gleich,
oh du mein kleines Österreich.“ 9
Für diesen Heimatbegriff eines kleinen Österreichs – das Leopoldi vor und nach
1938 auch in seinen zahlreichen Wienliedern transportierte – wurde er 1937 mit dem
Silbernen Verdienstkreuz der Republik gewürdigt, überreicht durch den Bundeskanz-
ler Schuschnigg. Leon Botstein weist in Die Juden und die Wiener Moderne nach, dass
diese paradoxe – er benennt es als ironisch – Affinität nichts Außergewöhnliches war :
„Eine große Zahl bedeutender Juden schloß sich anfangs Dollfuß, Mussolini, Franco
und den faschistischen Tendenzen in Ungarn und Polen an. Die Juden betrachteten
die extrem autoritäre Idee der Macht, den Ständestaat und die korporative Wirtschaft
als eine mögliche Verteidigung gegen den populären Antisemitismus von unten. Es
ist ironisch, dass gerade in diesen konservativen politischen Richtungen ein Teil der
Juden einen Schutz vor den populistischen, kleinbürgerlichen Bewegungen sahen, die
mit dem Antisemitismus eine enge Verbindung eingegangen waren.“ 0
Paradigmatisch kann hier das „Lebensbekenntnis“ von Robert Braun , Bruder des
Dichters und Dramatikers Felix Braun, gelesen werden. Er beschreibt, wie er unter
den Christlich-Sozialen zum „erstenmal“ sich „eingeschlossen in der Gemeinschaft
des österreichischen Volkes“ empfand : „Ich befand mich in einem Staat, mit dem
ich auch politisch übereinstimmte, verehrte den Kanzler Schuschnigg, dessen per-
sönlich wahrhaftiger Ton in seinem Kampfe gegen das Dritte Reich mich ansprach.
Seiner Forderung nach Toleranz, Gerechtigkeit, Maß vertraute ich. Sie wurzelte in der
Welt der katholischen Kirche, zu der er sich bekannte und der ich seit 1934 durch
meine Konversion angehörte. In der ‚Vaterländischen Front‘ waren mein Vater und
ich neben Hunderttausenden Österreichern eingeschrieben.“
Ebd., S. 119.
0 Botstein, Judentum und Modernität , S. 209.
Robert Braun, Abschied vom Wienerwald. Ein Lebensbekenntnis, Graz, Wien, Köln 1971, S. 145.
Ebd.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519