Page - 12 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Image of the Page - 12 -
Text of the Page - 12 -
Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationaler Kooperation und
Konkurrenz12
stellt, in der Angehörige unterschiedlicher Nationalitäten vielsprachig miteinander
kommunizierten. Andererseits wird die Radioaktivitäts- und Kernforschung im regio-
nalen beziehungsweise lokalen Forschungszusammenhang untersucht, der durch das
herrschaftliche beziehungsweise nach 1918 nationalstaatliche Territorium Österreichs
konstituiert wurde.
1.2.2 Ressourcenausstattung und Ressourcenverteilung
Im Zentrum steht die Frage, wodurch die Position der Radioaktivitätsforschung in
Österreich im regionalen und internationalen Netzwerk bestimmt wurde. Inwieweit
begünstigten, behinderten oder verhinderten die strukturellen, materiellen und topo-
graphischen Gegebenheiten Österreichs, dass das Forschungsfeld erschlossen werden
und sich weiterentwickeln konnte ? Wie eigneten sich die Forschenden die vorhande-
nen Ressourcen an und wie nutzten sie diese ? Wie wurden Forschungsprogramme in
Kooperation mit oder in Abgrenzung zu anderen Forschungsstätten im In- und Aus-
land konzipiert und durchgeführt ? Und schließlich : Wie und warum veränderte sich
die Position der Forschungsstandorte Österreichs im internationalen Kontext der Ra-
dioaktivitäts- und Kernforschung ?
Die in beiden Netzwerken zu beobachtenden Kooperations- und Konkurrenzbezie-
hungen werden in dieser Studie als Rituale und Machtspiele im Bourdieu’schen Sinne
interpretiert.14 Dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu zufolge ist die vermeint-
lich von politischen und wirtschaftlichen Interessen unberührte Welt der Naturwissen-
schaften ein soziales Feld wie jedes andere auch, wenngleich mit feldspezifischen
Strategien des Machtgewinns, der Machtverteilung und daraus resultierenden Interes-
senskonflikten. Position und Handlungsspielraum der beteiligten Akteure werden
durch die Verfügungsgewalt über verschiedene Kapitalsorten strukturiert, deren relati-
ver Wert sich im Zeitverlauf ändern kann. Die Zirkulation der vier von Bourdieu be-
schriebenen Kapitalsorten und die Möglichkeit, eine Kapitalsorte gegen eine andere
einzutauschen, spielen im strategischen Kalkül der Akteure eine entscheidende Rolle.
Dies lässt sich am Beispiel der Kernforschung in Österreich gut aufzeigen.
Ökonomisches Kapital verband sich in den Netzwerken der Radioaktivitäts- und
Kernforschung zunächst mit dem Besitz beziehungsweise der Kontrolle über radioak-
tive Strahlungsquellen, seien sie natürlichen Ursprungs (Radium, Polonium) oder
künstlich erzeugt. Die topographische Lage Österreichs ermöglichte den Zugang zu
einer weiteren Strahlungsquelle, der kosmischen Höhenstrahlung. Geldmittel in Form
von Stipendien oder direkter Forschungsförderung stellten darüber hinaus eine wich-
14 Vgl. Bourdieu 1998, Bourdieu 1997.
back to the
book Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)"
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369