Page - 81 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
Image of the Page - 81 -
Text of the Page - 81 -
Die Gefährdung des Zentrums 81
den Ton angaben. Unter den geladenen ausländischen Gästen befand sich der Neffe
Henri Becquerels, Paul, der als Biologe und Botaniker selbst nur am Rande mit radio-
aktiven Fragen befasst war. Marie Curie sagte ihre Teilnahme aus gesundheitlichen
Gründen kurzfristig ab.243
In Wien waren Stefan Meyer und seine Kollegen unterdessen zuversichtlich, dass die
Internationale Radiumstandard-Kommission die Nomenklaturfrage trotz der politisch
aufgeladenen Stimmung doch noch einvernehmlich regeln würde. Im Sommer 1913
trafen sich Bertram Boltwood, Ernest Rutherford, Otto Hönigschmid und die öster-
reichischen Radioaktivisten Heinrich Mache, Stefan Meyer und Egon von Schweidler
privat in Bad Ischl, um allgemeine Vorschläge zur Vereinheitlichung der Nomenklatur
auszuarbeiten.244 Sie verständigten sich darauf, »einerseits zur Wahrung der Entwick-
lungsgeschichte möglichst konservativ vorzugehen, anderseits doch den neueren Er-
kenntnissen über Verzweigungsverhältnisse und Isotopie gewisser Produkte einigerma-
ßen Rechnung zu tragen«.245 Parallel dazu liefen die Planungen für den Wiener Kon-
gress im Sommer 1914 unter Federführung Meyers auf Hochtouren. Die Kriegswirren
verhinderten jedoch seine Durchführung.
2.5 Die Gefährdung des Zentrums
2.5.1 Die Radioaktivistengemeinschaft und der Erste Weltkrieg
Die offiziellen Wissenschaftsbeziehungen brachen während des Krieges weitgehend ab.
Sinnbildlich steht dafür, dass der geplante III. Kongress für Radioaktivität und Elekt-
ronik nicht stattfand.246 Für die Wiener Radioaktivisten und Radioaktivistinnen war
die Absage des Kongresses besonders bitter, hätte er doch die Bedeutung ihrer Stadt als
international anerkanntes Zentrum der Radioaktivitätsforschung symbolisch unterstri-
chen.
Als Verbündeter des Deutschen Reiches bekannte sich Österreich-Ungarn zu den
Kriegszielen der Achsenmächte, und auch auf dem Feld der Radioaktivitätsforschung
herrschte während des Krieges das Primat der Politik. Nicht nur die deutschsprachigen
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Österreich-Ungarns, sondern auch ihre Kolle-
243 Vgl. Těšínská 2010, 49–50.
244 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 12, Fiche 185 : Stefan Meyer, Die Nomenklatur der Radium-
elemente, undatiert [1915].
245 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 12, Fiche 185 : Stefan Meyer, Egon von Schweidler, Die Nomen-
klatur der Radioelemente, undatiert [1917 ?].
246 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 12, Fiche 197 : Hahn an Meyer vom 11.3.1914 ; ebd., K 19,
Fiche 311 : Soddy an Meyer vom 10.6.1914 ; ebd., K 22, Fiche 349 : Curie an Meyer vom 9.6.1914.
back to the
book Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)"
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369