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Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung,
1899–191854
2.3.2 Verbindungen zur böhmischen Radiumindustrie
Die Akademie als Interessenvertreterin der deutsch-österreichischen Wissenschaften
hatte durch ihre patriotischen Appelle dazu beigetragen, dass in Österreich-Ungarn
eine eigene Radiumindustrie aus der Taufe gehoben wurde. Bei der Vermarktung des
Radiums zeigte sich das federführende k. k. Montan-Verkaufsamt in Wien wenig pat-
riotisch : Nachdem die Radiumherstellung in St. Joachimsthal begonnen hatte, sollte
sich diese Investition erst einmal amortisieren.120 Die Beamten suchten daher nach
solventen Kunden, die bereit und in der Lage waren, die stetig wachsenden Preise für
böhmisches Radium zu zahlen. Auch das k. k. Ministerium für öffentliche Arbeiten
ließ keinen Zweifel daran, dass die Radiumproduktion für kommerziellen Bedarf Vor-
rang hatte. Anfragen von wissenschaftlicher Seite, selbst wenn hochkarätige Vertreter
wie Franz Serafin Exner oder Marie Curie sie vorbrachten, wurden daher prinzipiell
nicht bevorzugt. Auch hinsichtlich des Ausgangsstoffs verhielt sich das Ministerium
äußerst restriktiv. Pechblende für wissenschaftliche Zwecke wurde nur in kleinen Men-
gen abgegeben.121
Stefan Meyer, der als Assistent Exners seit Gründung des Instituts für Radiumfor-
schung dessen inoffizielle Leitung übernommen hatte, musste dem Institut daher auf
anderem Wege Zugang zu radioaktiven Substanzen verschaffen. Sein jahrelanger Kon-
takt zu Vertretern der Atzgersdorfer beziehungsweise der böhmischen Radiumindustrie
kam ihm dabei zugute.122 Seit 1905 waren er und Schweidler intensiv in den Produk-
tionsprozess des Atzgersdorfer Radiums eingebunden, wobei sie alle Anreicherungsstu-
fen sowie die anfallenden Vor- und Nebenprodukte maßen, die Produktion überwach-
ten und gegebenenfalls in die richtige Bahn lenkten.123 Carl Ulrich, mit dem Stefan
Meyer bei der Erstgewinnung von Radium in Atzgersdorf eng zusammengearbeitet
hatte, war 1910 zum Direktor der Radiumfabrik in St. Joachimsthal ernannt worden,
wo er die Produktion mit seinen Spezialkenntnissen erst richtig in Gang brachte.
Ulrich trat wiederholt als Meyers Fürsprecher beim k. k. Ministerium für öffentliche
Arbeiten auf – mit Erfolg. Im Frühjahr 1912 meldete Meyer hocherfreut nach St. Joa-
chimsthal :
120 CUL, RC, Add 7653, M 140 : Meyer an Rutherford vom 17.9.1912.
121 Vgl. Braunbeck 1996, 66, 68.
122 Meyer verfügte auch über gute Kontakte zu den Radiumwerken Neulengbach. Vgl. Braunbeck 1996, 85.
123 Vgl. Seidlerová/Seidler 2010, 107, 117–118. Siehe auch ÖStA, AVA, k. k. Ministerium für öffentliche
Arbeiten, Staatliche Montanverwaltung, F. 825 : Delegierung des Dr. Karl Ulrich der österr. Gasglüh-
lampen-Elektrizitätsgesellschaft in Wien zur Teilnahme an der letzten Arbeit der Radiumchloriddarstel-
lung in St. Joachimsthal vom 14.3.1909.
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book Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)"
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369