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Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung,
1919–1932122
Wenn überhaupt, so wäre auch für die Untersuchung wohl ein alter Thorit geeigneter als ein
Uranerz, wie der Bröggerit. Von letzterem habe ich nur mehr 1 kg, da für eine Reihe von
Arbeiten etwa 1 kg seit Deiner Zeit verarbeitet wurden und ich konnte [Wolfgang] Pauli […]
davon nichts mitgeben, ich möchte mich auch von diesem für uns unersetzlichen Rest nicht
trennen, wenn nicht mit Sicherheit etwas Schönes bei Dir zu erwarten wäre. Von der Brög-
geritlösung ist noch ein grosser Teil vorhanden ; […] vielleicht wäre dieses Material dann
auch geeignet.«139
Das Institut für Radiumforschung wurde ungeachtet der materiellen Nöte, die in Wien
herrschten, im In- und Ausland bald wieder zu einem zentralen Anlaufpunkt für ra-
dioaktive Präparate. In Wien wusste man diesen Umstand geschickt zum eigenen
Vorteil zu nutzen. Den materiellen Vorsprung des alten und neuen Zentrums der Ra-
dioaktivitätsforschung in Österreich konnte die Peripherie nicht einholen. Graz und
Innsbruck blieben innerhalb Österreichs Empfänger von Präparaten aus dem Zentrum.
Im internationalen Wissenschaftsverkehr hatten die dortigen Radioaktivisten im Ver-
gleich zu den Wienern eine randständige Position. Es waren vor allem die mächtigsten
Akteure außerhalb Österreichs, die von dem wieder auflebenden Präparatverleih profi-
tierten. Dank der Wiener Leihgaben konnten sie ihre Forschung in neue Bahnen len-
ken. Das Institut für Radiumforschung wurde so zum Wegbereiter eines Wandels, der
das Forschungsfeld in den kommenden Jahren erfasste.
3.3.3 »Unter keinen Bedingungen verbandelt« : Kooperationen mit der Industrie
Trotz der in Wien vorhandenen Radiumvorräte stellte sich nach Kriegsende die Frage,
wie der Nachschub an radioaktivem Material für das Wiener Institut langfristig zu si-
chern sei. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie war der Zugriff auf die St. Joach-
imsthaler Radiumproduktion verlorengegangen, denn die uranhaltigen Minen in Já-
chymov, wie St. Joachimsthal nun genannt wurde, befanden sich fortan auf dem
Staatsgebiet der Tschechoslowakei. Noch dazu lief die britische Regierung dem Institut
für Radiumforschung als Hauptverhandlungspartner der tschechoslowakischen Radi-
umindustrie den Rang ab. Das tschechoslowakische Ministerium für öffentliche Arbei-
ten schloss im Sommer 1921 einen Vertrag mit der Imperial and Foreign Corporation
of London, die damit faktisch die Kontrolle über die tschechoslowakische Radiumpro-
duktion übernahm. Soddy brachte die größte bis dahin nach Großbritannien impor-
tierte Menge reinsten Radiums, nämlich zwei in Jáchymov produzierte Gramm, als
139 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 220 : Meyer an Hönigschmid vom 21.2.1920.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369