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Das Zentrum etabliert sich 67
zinische Forschung zur Radioaktivität und die damit verbundene Nutzung radioakti-
ver Präparate nicht vorsahen.
2.4 Das Zentrum etabliert sich
2.4.1 Wien als metrologisches Zentrum der Monarchie
Abgesehen von der Pflicht, eingesandte radioaktive Präparate zu messen beziehungs-
weise zu eichen, gab es keine Notwendigkeit, mit der Ärzteschaft zusammenzuarbeiten.
Doch gerade das radioaktive Messwesen bot Anlass für zahlreiche Konflikte. Hatte das
II. Physikalische Institut der Universität Wien die Wägung radioaktiver Proben für In-
dustrie, Medizin und Privatpersonen noch aus wissenschaftlichem Interesse oder Ku-
lanz durchgeführt, so übernahm das Institut für Radiumforschung diese Tätigkeit als
hoheitliche Aufgabe. Es erhob damit den Anspruch, als einzige Institution der Monar-
chie wissenschaftlich fundierte und damit valide Messungen radioaktiver Zerfallspro-
zesse vorzunehmen und in metrologischen Streitfragen stets das letzte Wort zu haben.
Als Leiter des Instituts, das in Fragen des radioaktiven Meß- und Eichwesens die
alleinige Geltungshoheit beanspruchte, ärgerte Meyer sich besonders über Ärzte, die
gering dosierte radioaktive Präparate mit ungenau definierten oder physikalisch abwe-
gigen Angaben zur Strahlungsmenge in medizinischen Fachzeitschriften feilboten.
Denn indirekt schadeten sie damit dem guten Ruf des Instituts für Radiumforschung.
In einem Brief an Carl Ulrich machte Meyer seinem Ärger Luft :
»Selbstverständlich geht es mich gar nichts an, wenn Dr. D. etwas publiciert, aber wenn auch
das Radiuminstitut in so einem Artikel nicht genannt ist, so ahnen doch einige Leute, dass
die quantitativen Strahlungsmessungen hier gemacht werden oder fallweise wurden und
dann kommen allerlei mehr oder minder unangenehme Anfragen und da ich ja nur aussagen
kann, dass die Präparate, die Dr. D. verwendet oder empfohlen hat, von uns nicht untersucht
sind, denn die untersuchten waren damals noch hier im Institut, müssen wir dann herum-
reden und der Vermutung Ausdruck geben, dass alles schon so sein wird, wie er es angibt,
[…]. Aber die physikalische Denkweise und die mit der Clientel zusammenhängende medi-
zinische sind nicht immer conform.«185
Meyer war sich mit vielen seiner Kollegen und Kolleginnen darin einig, dass weder die
Ärzteschaft noch Vertreter der Radiumindustrie bei Standardisierungsfragen mitreden
185 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 20, Fiche 321 : Meyer an Ulrich vom 15.3.1912. Siehe zur Radi-
umstation Wichtl 1987, 917.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369