Page - 131 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Das Zentrum (re-)formiert sich 131
Forschungsgebiet der Atomzertrümmerung mitzubestimmen. Ausgehend von neuen
tragfähigen Verbindungen zur belgischen Radiumindustrie war man in Wien in der
Lage, die Spielregeln für die internationale Radioaktivistengemeinschaft auch nach
dem Krieg maßgeblich zu bestimmen.
3.3.4 Rückkehr auf die internationale Bühne
Es war letztlich der Union Minière zu verdanken, dass die Radioaktivisten Österreichs
früher als viele ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen auf die internationale Bühne
zurückkehrten.180 Eine wesentliche Schaltstelle war die Internationale Radiumstan-
dard-Kommission, die lange vor anderen internationalen Wissenschaftsinstitutionen
ihre Tätigkeit wiederaufnahm. Die Kommission war eine der wenigen grenzüberschrei-
tenden wissenschaftlichen Legislativorgane, die nach 1918 nicht formal aufgelöst
worden waren. Doch ruhten ihre Aktivitäten. Das Institut für Radiumforschung und
der Service de Mesures in Paris hatten während des Krieges unabhängig voneinander
Eichungen vorgenommen, ohne dafür von der Kommission beauftragt worden zu sein.
Auf Anfrage fertigten sie Standardpräparate, wobei zumindest auf Wiener Seite die
Regelung galt, provisorisch ausgestellte Standards nach Beendigung des Krieges in
Paris nacheichen zu lassen.181 Da nach Kriegsende zwischen Wien und Paris weiter
Funkstille herrschte, stellten beide Seiten weiterhin Sekundärstandards her, ohne dass
eine Nacheichung am jeweils anderen Ort stattgefunden hätte.182 So bestellte beispiels-
weise Frederick Soddy als einer der ersten Ausländer nach dem Krieg mehrere sekun-
däre Standards in Wien, die nicht in Paris nachgeeicht wurden.183
Erst fünf Jahre nach Kriegsende, im Frühsommer 1923, wandte sich Curie an Meyer
in Wien.184 Grund dafür war eine Anfrage der Union Minière an Curie, die bei der
Internationalen Radiumstandard-Kommission einen Sekundärstandard für Belgien in
Auftrag geben wollte. Der belgische Radiumgroßproduzent hatte ein starkes Interesse
an Standardisierungsfragen, wobei ursprünglich gemeinsam mit dem belgischen Phy-
siker Auguste Piccard, Lehrstuhlinhaber an der Freien Universität Brüssel, ein unab-
hängiges Messsystem entwickelt werden sollte. Dieser belgische Standard sollte an der
180 Vgl. Crawford 1988, 173.
181 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 350 : Meyer an Curie vom 19.5.1924.
182 Vgl. MC, ALC, Fiche 3844 : Curie an Felix (Leiter des Instituts für Radiumforschung Prag) vom
23.5.1923. Die spanische Regierung erwarb zwei Radiumstandards in Paris, die vom Service de Mesures
zertifiziert wurden. Sie waren Ausgangspunkt für die Einrichtung eines offiziellen Eichservice in José
Muñoz’ Radioaktivitätsinstitut in Madrid. Vgl. Herran 2008b, 334.
183 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 311 : Soddy an Meyer vom 3.3.1920.
184 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 22, Fiche 349 : Curie an Meyer vom 1.5.1923.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369