Page - 107 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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Das regionale Netzwerk festigt sich 107
In Innsbruck kam ein US-amerikanischer Mitarbeiter des International Education Board
(IEB), der das Institut auf seiner Reise durch Europa im Winter 1926 besuchte, ebenfalls
zu einem vernichtenden Urteil : »The department of Experimental Physics [in Innsbruck,
S. F.] has for professor a rather old man and there is practically no advanced physics
being done«.61 Ebensowenig wie Jäger in Wien und Benndorf in Graz erschlossen
Schweidler und Lerch innovative Forschungsgebiete. Rudolf Steinmaurer, ein Schüler
Benndorfs und Hess’, der als Doktorand in den 1930er Jahren in Innsbruck zur kosmi-
schen Höhenstrahlung forschte, vermutete, dass Schweidler angesichts der schwierigen
materiellen Verhältnisse an der Innsbrucker Universität resigniert habe. Daher habe
Schweidler, so Steinmaurer, mehr als einen Arbeitsplan, den ihm seine Assistenten un-
terbreiteten, mit der Bemerkung abgetan : »Das können wir nicht machen«.62
3.2.2 Der Exner-Kreis zwischen Kooperation und Konkurrenz
Wie der Streit um die Exner-Nachfolge zeigt, konkurrierten die Mitglieder der ersten
und zweiten Generation seiner Schüler weniger um akademische Positionen als viel-
mehr um die immer knapper werdenden Mittel für Forschung und Lehre. Der Kon-
kurrenzkampf wurde einerseits zwischen den Universitäten ausgetragen. So forderten
Vertreter der Universität Wien in den frühen 1920er Jahren, dass die Hochschulen die
seit 1920 erhöhten Kollegiengelder selbst verwalten dürften. Eine solche Regelung
hätte sich für die Universitäten in Graz und Innsbruck ungünstig ausgewirkt, da sie
weniger Studierende hatten. In schweren Auseinandersetzungen konnten deren Vertre-
ter den Vorschlag zum Scheitern bringen. Der Exner-Schüler Benndorf war einer der
Wortführer gegen den Vorstoß.63 Andererseits kam es auch innerhalb der Physikali-
schen Institute zu Verteilungskämpfen. Hess stritt nach seiner Rückkehr aus den USA
mehrmals mit Benndorf um die Nutzung von Räumlichkeiten und Instrumenten am
Grazer Institut. So setzte Hess erfolgreich durch, dass Apparaturen, die er mit einer
beim Ministerium ausgehandelten Sonderdotation angeschafft hatte, ausschließlich
von seiner Arbeitsgruppe benutzt werden durften.64 Wegen der insgesamt sehr be-
61 RAC, RF, RG 12.1, Box 139, Folder 1, Bl. 1–20 : W.E. Tisdale, Log of Trip to Prague, Vienna and Inns-
bruck vom 7.12.1926. Mitarbeiter des IEB bereisten seit Mitte der 1920er Jahre naturwissenschaftliche
Laboratorien in verschiedenen europäischen und US-amerikanischen Städten, um Forscherpersönlich-
keiten respektive Forschungsstandorte ausfindig zu machen, die sie in ihr Förderprogramm aufzunehmen
gedachten.
62 Vgl. Huter/Machek/Oberkofler/Steinmaurer 1971, 96.
63 Vgl. Höflechner 1994, 70–71 ; Höflechner 1983, 220–221.
64 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 992/5G : Hess an Bundesmini-
sterium für Unterricht vom 3.12.1926.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369