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Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung,
1899–191888
Personal. Ab 1917 erhielt Meitner jedenfalls ein Kilo Uranlaugrückstände aus Instituts-
beständen sowie mehrere Präparate aus Meyers privater Sammlung, mit denen sie die
α-Strahlung des Wismuts untersuchte und die Actiniumfrage weiterverfolgte. Da die
Wiener Rückstände wegen ihres hohen Radiumgehalts für Meitners Versuche ungeeig-
net erschienen, wandte Meyer sich an Carl Ulrich, um radiumfreie Rückrückstände für
Meitner zu organisieren.281 Daneben bot er Meitner an, ihre Messungen in Wien
durchzuführen, was diese jedoch ausschlug.282 Obwohl der Export radioaktiver Mate-
rialien aus Österreich-Ungarn zu jener Zeit offiziell verboten war, erzielte Meyer beim
k. k. Ministerium für öffentliche Arbeiten im Januar 1918 eine Exportgenehmigung
für 1.730 Kilogramm Rückrückstände, die aus dem Atzgersdorfer Depot des Instituts
stammten.283 Aus diesem Material isolierten Otto Hahn und Lise Meitner kurz darauf
das radioaktive Zerfallsprodukt Protactinium.284
2.5.2 Österreich-Ungarn in der neuen internationalen Radiumökonomie
Bis weit in den Krieg hinein war das Institut für Radiumforschung dank seiner mate-
riellen Ausstattung und seiner guten Kontakte zur böhmischen Radiumindustrie ein
gefragter Anlaufpunkt für die internationale Radioaktivistengemeinschaft. Auch für
die Wiener Ministerialbürokratie blieb das Institut ein wichtiger Ansprechpartner.
Meyer gelangte dank seines persönlichen Netzwerks an Informationen, die er bereitwil-
lig an das k. k. Ministerium für öffentliche Arbeiten weitergab. Das galt nicht nur für
Forschungsergebnisse seiner Kolleginnen und Kollegen, die mithilfe radioaktiver Ma-
terialien aus Österreich-Ungarn erzielt wurden und die der böhmischen Radiumindus-
trie zugute kamen.285 Auch Meyers Insider-Informationen über die Entwicklungen der
jungen US-amerikanischen Radiumindustrie hatten angesichts der veränderten Lage
auf den internationalen Radiummärkten strategischen Wert.286 Durch seinen US-
281 Meyer versuchte vergeblich, seinem Institut die in Atzgersdorf deponierten Rückrückstände aus der Ver-
arbeitung der Uranlaugrückstände auf Radium aus St. Joachimsthal und Atzgersdorf zugänglich zu ma-
chen. Der Versuch scheiterte daran, dass die zuständigen Personen abwesend waren. Vgl. CAC, MTNR
5/12/3, Bl. 25 : Meyer an Meitner vom 31.5.1917.
282 Vgl. CAC, MTNR 5/12/3, Bl. 38 : Meyer an Meitner vom 8.12.1917.
283 Vgl. CAC, MTNR 5/12/3, Bl. 39–40 : Meyer an Meitner vom 28.1.1918.
284 Vgl. CAC, MTNR 5/12/3, Bl. 41 : Meyer an Meitner vom 23.3.1918. Das aus den 1,7 Kilogramm her-
gestellte Protactiniumpräparat ging später durch einen Unfall verloren. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL
Meyer, K 12, Fiche 197 : Hahn an Meyer vom 20.11.1919.
285 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 29, Fiche 400 : k. k. Ministerium für öffentliche Arbeiten an
Institut für Radiumforschung vom 21.5.1918.
286 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 29, Fiche 400 : k. k. Ministerium für öffentliche Arbeiten an
Institut für Radiumforschung vom 3.3.1916.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369