Page - 24 - in Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
Image of the Page - 24 -
Text of the Page - 24 -
Sphären unter die durch den Monarchen verkörperte Macht des Staates auf nach-
drückliche Weise zum Ausdruck.34
In seiner grundlegenden Untersuchung zur literarischen Feldtheorie nimmt
Bourdieu nur ein einziges Mal Bezug auf die Zensur, und zwar im Zusammen-
hang mit dem Feld der Macht („champ du pouvoir“), in dem die Machtverhält-
nisse zwischen den verschiedenen Feldern und Kapitalsorten („espèces de capi-
tal“) ausgehandelt werden.35 Zweifellos gab es auch innerhalb der Monarchie
oppositionelle, zentrifugale Kräfte, die die Machtverhältnisse ,auszuhandeln‘ und
die Autonomisierung der Literatur voranzutreiben versuchten, vor allem aber
außerhalb derselben. Die Selbstverständlichkeit, mit der die österreichische Poli-
tik in Form der Zensur auf die Literatur zugriff, markiert einen hohen Grad an
Heteronomie, der in einem zumindest in seiner Selbstdefinition absolutistischen
Staat vorausgesetzt werden kann.36
Am ehesten entspricht der Zustand des Literaturbetriebs in Österreich in der
zweiten Hälfte des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem eines
„,champ‘ d’avant les champs“37 (etwa: dem Zustand eines Feldes, bevor es zu
einem solchen geworden ist, oder: eines vorautonomen Feldes).38 Selbst die neu-
34 Insofern ist äußerst fraglich, ob man schon um 1800 von der Ausdifferenzierung verschiede-
ner Sozialsysteme in Österreich ausgehen kann (so Wögerbauer, ebd.).
35 Vgl. Pierre Bourdieu: Les règles de l’art. Genèse et structure du champ littéraire. Paris: Éditions
du Seuil 1992, S. 298–310; in der deutschen Übersetzung (Die Regeln der Kunst. Genese und
Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001) S. 340–353.
36 Bourdieu denkt ganz offenbar nicht an die annähernd unbeschränkten Möglichkeiten des
Zugriffs von Zensur, wie sie im 19. Jahrhundert in Österreich bestanden, wenn er schreibt:
„[...] un haut degré de contrainte et de contrôle – à travers par exemple une censure très stric-
te – n’entraîne pas nécessairement la disparition de toute affirmation d’autonomie lorsque le
capital collectif de traditions spécifiques, d’institutions originales (clubs, journaux, etc.), de
modèles propres est suffisamment important.“ (Les règles de l’art, S. 307) – „[...] ein hohes
Ausmaß an Zwang und Kontrolle – zum Beispiel durch sehr strenge Zensur – [führt] nicht
notwendig zum Versiegen jeder Äußerung von Autonomie, sofern das kollektive Kapital an
spezifischen Traditionen, eigenständigen Institutionen (Vereinigungen, Zeitschriften usw.)
oder internen Vorbildern umfangreich genug ist.“ (Die Regeln der Kunst, S. 350) Solche Tra-
ditionen und Institutionen gab es in Österreich allenfalls im Untergrund (zum Beispiel der
Club der Ludlamshöhle in Wien) oder in den 1840er Jahren, also gegen Ende der Zensurära,
in beinahe extraterritorialen Zellen wie dem der intellektuellen Elite vorbehaltenen Wiener
Juridisch-Politischen Leseverein.
37 Roger Chartier: Discours de la méthode (Rezension von Pierre Bourdieu: Les règles de l’art).
In: Le monde, 18. September 1992, S. 37.
38 Die Besonderheiten des österreichischen literarischen ,Feldes‘ behandelt mit besonderem Fokus
auf das josephinische Jahrzehnt Norbert Christian Wolf: Aloys Blumauers Beobachtungen über
Oesterreichs Aufklärung und Litteratur. Ansätze zur Literatursoziologie eines regionalen Aus-
gleichsprozesses. Diplomarbeit (masch.) Wien 1994; vgl. auch Ders.: Der Raum der Literatur
im Feld der Macht. Strukturwandel im theresianischen und josephinischen Zeitalter. In: Franz
M.
Eybl (Hg.): Strukturwandel kultureller Praxis. Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Sicht
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
24 1. Einleitung
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510