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entzieht sich damit auch der Beurteilung durch die Justiz. Dieser in der Juris-
tensprache als „Kunstvorbehalt“ bezeichnete Umstand verhindert aber nicht,
dass gelegentlich andere Werte der Kunst übergeordnet werden. Meist ist das –
wie im Fall des Verbots des Romans Esra von Maxim Biller in der Bundesrepu-
blik Deutschland im Jahr 2003 – der Schutz der Privatsphäre.56
Reinhard Aulich betont, dass Zensur nicht ein für alle Mal als ein- und die-
selbe Kraft der Unterdrückung, als systemkonformes reaktionäres Herrschafts-
instrument, betrachtet werden darf, sondern eine wandelbare Instanz der Über-
wachung der (literarischen) Kommunikation in einer historisch bestimmbaren
Gesellschaft darstellt, ein „Subsystem der sozialen Kontrolle“, das einem wan-
delbaren Set von Normen folgt.57 So herrschte zwischen ca. 1760 und 1790 auch
in Österreich die Förderung der Aufklärung bei gleichzeitiger Unterdrückung
des Obskurantentums vor, Zensur erscheint hiermit in dieser Epoche als gera-
dezu fortschrittliche Kraft. Je weiter die Modernisierung voranschritt, desto
mehr waren statt autoritätshöriger Untertanen mündige Bürger gefragt, die
innerhalb gewisser, immer weiter gezogener Grenzen, selbst Entscheidungen
treffen. Nach der Erfahrung der Französischen Revolution versuchte die Zensur
dagegen, den Status quo einzufrieren und Veränderungen weitgehend zu ver-
hindern. Eine andere Verschiebung der Zensurnormen betrifft den Ehrenschutz.
Während anfänglich nur Herrscher oder Angehörige der Oberschicht unter
Schutz gegen Beleidigung und Verleumdung standen, gelang es, im Verlauf des
18. und 19. Jahrhunderts auch einen bürgerlichen Ehrenschutz zu etablieren,
was der steigenden Bedeutung des Bürgertums als Schicht der Wirtschaftstrei-
benden, für die ein guter Ruf zum Beispiel im Hinblick auf ihre Kreditwürdig-
keit wichtig war, entsprach.58
56 Vgl. dazu die Kontroverse zwischen Remigius Bunia: Fingierte Kunst. Der Fall Esra und die
Schranken der Kunstfreiheit. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen
Literatur
32 (2007), H.
2, S.
161–182, und Christian Eichner/York-Gothart Mix: Ein Fehlurteil
als Maßstab? Zu Maxim Billers Esra, Klaus Manns Mephisto und dem Problem der Kunstfrei-
heit in der Bundesrepublik Deutschland. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der
deutschen Literatur 32 (2007), H. 2, S. 183–227; ferner, mit Beiträgen zu rezenten Auseinan-
dersetzungen und aus verschiedenen Gründen anstößigen Texten: Tom Cheesman (Hg.): Ger-
man Text Crimes. Writers Accused, from the 1950s to the 2000s. Amsterdam, New York: Rodo-
pi 2013.
57 Reinhard Aulich: Elemente einer funktionalen Differenzierung der literarischen Zensur. Über-
legungen zu Form und Wirksamkeit von Zensur als einer intentional adäquaten Reaktion
gegenüber literarischer Kommunikation. In: Herbert G. Göpfert/Erdmann Weyrauch (Hg.):
„Unmoralisch an sich ...“. Zensur im 18. und 19.
Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz 1988,
S. 177–230, hier S. 183.
58 Vgl. ebd., S. 208–209.
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32 1. Einleitung
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510