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dalös, worauf der Landeshauptmann Graf Tenczin „diese Bücher den 14.
August
1714 als an seinem Geburtstag“ vom Rathaus abholen, überprüfen und abzählen
ließ. Weiterhin wird berichtet, dass er sie durch „4 Henkers Knechte an den
Pranger bey einem ohngefähr fünf Schritte von demselben gemachten Feuer
schleppen ließ, da denn der Henkers-Knecht erstlich die kleinen Bücher jedes
auf einer hölzernen Gabel, hernach die größeren verbrannt, Zuvor aber allerley
Ceremonien mit Henkers Sprüchen, Abreißung derer Kupferstiche derer Luthe-
rischen Christlichen und schimpfliche Art derer Zuschauer gemacht, welche
execution von 10 bis 2
Uhr gewähret, und der Herr Graff von Anfang bis zu Ende
beygewohnet, Dabey insonderheit von den Jesuiter Schülern viel Gespött getrie-
ben und die Bibeln, Formula Concordiae sehr verhöhnet worden. Der Henker
habe endlich die Asche auf den Schinder Anger geführet und selbige in das dabey
fließende Wasser geschüttet, der Schulbediente Mevius, so die Bücher verschrie-
ben, da er erstlich der execution beywohnen müssen, sey mit seiner Familie der
Kayserlichen Lande verwiesen worden“.15 Es handelte sich um Predigtsammlun-
gen, Postillen, Erbauungsliteratur, Bibeln, Gebetbücher und Ähnliches, aber
auch einige Werke, deren Verfasser der zeitgenössische Kommentator als „Con-
troversisten“ einstuft.
Nicht nur der reguläre Buchhandel war eine Quelle verbotener ,sectischer‘
Literatur, auch bei den illegalen Bücherträgern und in den protestantischen
Haushalten fanden sich bei Visitationen durch Pfarrer oder Missionare immer
wieder unter Umständen über mehrere Generationen vererbte Standardwerke,
die beschlagnahmt und am Richtplatz, vor dem Rathaus, auf Märkten, Friedhö-
fen oder – aus Sicht der protestantischen Bürger besonders schmählich – nach
dem Sonntagsgottesdienst vor der Kirchentür verbrannt wurden.16
Erst in einem kaiserlichen Edikt von 1715 wurden erstmals explizit auch poli-
tische und Schmähschriften, die die Regierung und die Gesetze des Heiligen
Römischen Reiches sowie einzelne Persönlichkeiten angriffen, erwähnt.17 Der
Umstand, dass die Theologie auf dem Buchmarkt an Boden zu verlieren begann
und vermehrt auch die weltliche Herrschaft diskutiert wurde, zog eine Verschie-
bung der Zensurkompetenzen hin zum Staat nach sich. Zudem fühlten sich die
weltlichen Herrscher zunehmend auch für das Seelenheil der Untertanen zu-
15 [Friedrich] K.[app]: Beiträge zur Geschichte der österreichischen Bücherpolizei. In: Archiv für
Geschichte des Deutschen Buchhandels
8 (1883), S.
303–309, hier S.
304–305. Vgl. dazu auch:
Friedrich Hermann Meyer: Zur Geschichte der österreichischen Bücherpolizei III. In: Archiv
für Geschichte des Deutschen Buchhandels 14 (1891), S. 366–370.
16 Siehe Scheutz: Das Licht aus den geheimnisvollen Büchern, S. 344; ein kompakter Überblick
über den von der Zensur verpönten protestantischen Literaturkanon findet sich ebd., S. 330–
340.
17 Siehe Fischer: Deutsche Kommunikationskontrolle, S. 38, sowie Siemann: Ideenschmuggel,
S. 85.
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46 2. Im Dienst der Aufklärung: Die Zensur zwischen 1751 und 1791
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510