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ein Mythos als Realität ist auch die Broschürenflut, die sich laut vielen Kom-
mentatoren, darunter Aloys Blumauer in Beobachtungen über Österreichs Auf-
klärung und Litteratur und Johann Pezzl in seiner Skizze von Wien,115 als Folge
der ,Pressfreiheit‘ über Wien ergossen hat. Die gründliche Bibliographie öster-
reichischer Drucke zwischen 1781 und 1795 von Wernigg umfasst ca. 6300
Num-
mern. Dazu ist zu bemerken, dass Wernigg die Phase der ,Pressfreiheit‘ bis 1795
erstreckt, was sie zumindest um drei Jahre zu lang ansetzt, die Reaktion setzte
schon während der Regierung Leopolds
II. ein. Darüber hinaus erfasst Wernigg,
weil er es sinnvoll findet, das Gesamtwerk der wichtigsten Autoren zu verzeich-
nen, viele Werke, die vor und nach dem laut Titel zugrunde gelegten Zeitraum
erschienen sind. Einige Beispiele: Von Kornelius Hermann von Ayrenhoff sind
die Hälfte der 22 Titel außerhalb der vermeintlichen Pressfreiheit erschienen,
von Denis gar 21 von 26 Nummern, von Karl Friedrich Hensler 48 der 84 ver-
zeichneten Werke, von Joachim Perinet 53 von 86 Werken, von Joseph Richter,
dem Verfasser der Eipeldauerbriefe, 37 von 59
Nummern. Nach diesen Stichpro-
ben zu schließen, muss man die Zahl der Einträge von Wernigg um zumindest
einige hundert reduzieren. Als Broschüren können darüber hinaus lediglich ein
Teil der Einträge in den Kapiteln „Kulturgeschichte“, „Wien und die Wiener“,
„Kampfplatz der Theologie“ und „Geschichte“ (zusammen ca. 2900
Titel) sowie
ein Teil der im zweiten Band versammelten knapp 1200
Werke gelten. Die „Bro-
schürenflut“ beläuft sich demnach auf maximal 2000 bis 3000 auf ein Jahrzehnt
verteilte Titel.
Ein Argument für die Zunahme der Verlagstätigkeit infolge der ,Pressfreiheit‘
ist ferner der Hinweis auf angeblich sagenhafte Zuwachsraten des Buchexports
zwischen 1773 und 1792, und zwar von 135.000
Taler auf 3.260.000 Taler,116 was
eine Steigerung um mehr als 240
% bedeuten würde. Selten wird eine Quelle für
diese Zahlen genannt. Die allen späteren Zitierungen zugrunde liegende Quel-
le dürfte Johann Goldfriedrich sein, der, in der Diktion auffällig unbestimmt,
schreibt: „Auf jeden Fall aber war die Josephinische Preßfreiheit auf den öster-
reichischen Buchhandel von sehr spürbarem günstigen Einfluß. Nach einer
Angabe aus dem Jahre 1793 soll der österreichische Bücherexport, nachdem er
z.
B. im Jahre 1773 135
000
fl. betragen hatte, infolge derselben auf 3
260
000
fl.
115 Die betreffenden Passagen werden zitiert zum Beispiel in Wolf: Von „eingeschränkt und erz-
bigott“, S. 323–324.
116 Ferdinand Wernigg: Bibliographie österreichischer Drucke während der „erweiterten Preß-
freiheit“ (1781–1795). 2
Bde. Wien, München: Jugend und Volk 1973–79, S.
17; vgl. auch Sas-
hegyi: Zensur und Geistesfreiheit unter Joseph II., S. 89, und viele andere, zum Beispiel Hans
Wagner: Die Zensur in der Habsburger Monarchie (1750–1810). In: Gerda Mraz (Hg.): Joseph
Haydn in seiner Zeit. Eisenstadt: Amt der Burgenländischen Landesregierung 1982, S.
211–220,
hier S. 215. 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 71
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510