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dung an alle Bischöfe im Land verschicken.10 Diese Hierarchisierung setzte sich
aber erst in den 1770er Jahren langsam durch, nachdem, wie schon gezeigt, die
Personalunion des Vorsitzenden der Zensurkommission und des Prager Erzbi-
schofs durch eine ebensolche mit dem Chef des Landesguberniums abgelöst
worden war und begonnen wurde, die Zensur nach ,Wiener Art‘ einzurichten.11
Die 1770er Jahre sind von zwei Konfliktlinien geprägt. Die eine ergab sich
beim Versuch, einen von Gesetzes wegen staatlichen Zensurapparat gegenüber
der gegenreformatorischen Zensurpraxis durchzusetzen. Die Position der kirch-
lichen Institutionen war nach wie vor sowohl in der Vor- als auch in der Nach-
zensur relativ gefestigt. Zu Beginn der 1770er Jahre verließen sich Ordensbrüder
immer noch auf die Zensur durch ihre Oberen, ohne ihre Schriften einem staat-
lichen Zensor vorzulegen. Auch waren Missionare als Zensoren aktiv: Ein staat-
licher Mautbeamter aus Ostböhmen übergab Anfang 1772 ein für den Grafen
Paar bestimmtes Bücherpaket einem jesuitischen Missionar zur Zensur. Diesem
stand jedoch, so die Landesstelle, diese Kompetenz gar nicht zu; zudem ging das
auch aus Standesrücksichten nicht an, sodass der Fall an die Wiener Zensur-
kommission übertragen wurde.12 Auch forderte die ,neue‘ und nunmehr ein-
deutig staatliche Zensurkommission im Mai 1772 die Geistlichen und vor allem
die Missionare auf, Listen von verdächtigen und einstweilen konfiszierten Büchern
nach Prag einzusenden13 – die Zensurkommission rechnete also mit der gegen-
reformatorischen, auf Geistliche vor Ort aufbauenden Infrastruktur und ver-
suchte, sie unter staatliche Aufsicht zu stellen. Als die Prager Zensurkommissi-
on eine Verstaatlichung überkommener Praktiken wie der „Ueberfallung der
Bücher-Krämer und Haußirer“ vorschlug, wurde das von der Wiener Zensur-
kommission abgelehnt.14 Dem Prager erzbischöflichen Konsistorium verbot das
Gubernium zum Beispiel die Konfiskation einer gegen die Orden gerichteten
Broschüre, die immerhin in Kooperation mit dem Prager Kleinseitener Stadt-
hauptmann verfasst worden war – solche eigenmächtige Untersuchungen kirch-
licher Stellen verstießen aber auch gegen die jüngsten Zensurregelungen aus
Wien, zumal es sich nicht um Maßnahmen gegen Ketzerei („personal Untersu-
10 NA, ČG-P, 1774–1783, Karton 729, Signatur G5/1, kaiserliches Reskript vom 3.12.1749.
11 NA, ČG-P, 1774–1783, Karton 730, Signatur G5/1, Protokoll der Prager Zensurkommission
vom 6.7.1772.
12 NA, ČG-P, 1764–1773, Karton 381, Signatur G5/57. Etwas ausführlicher wird der Fall analy-
siert in Michael Wögerbauer: Die Ausdifferenzierung des Sozialsystems Literatur in Prag 1760–
1820. Diss. Wien masch. 2006, S. 143. Der Fall findet auch im Protokoll der Prager Zensur-
kommission vom 26.5.1772 Erwähnung (NA, ČG-P, 1774–1783, Karton 730, Signatur G5/1).
13 NA, ČG-P, 1774–1783, Karton 730, Signatur G5/1, Protokoll der Prager Zensurkommission
vom 26.5.1772.
14 NA, ČG-P, 1774–1783, Karton 730, Signatur G5/1, Protokoll der Prager Zensurkommission
vom 6.7.1772. 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer:Das Königreich Böhmen (1750–1848) 197
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510