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durch und durch unmoralisch sei, bliebe nur das Verbot, in vielen Fällen böte
sich aber die ‚Rettung‘ durch Striche an. Hägelin gab eine große Zahl von kon-
kreten Hinweisen für Zensoren und Bearbeiter. Die Wörter ‚Tyrann‘, ‚Tyrannei‘
und ‚Despotismus‘ dürften nicht auf der Bühne vorkommen, ‚Freyheit‘ und
‚Gleichheit‘ seien Wörter, „mit denen nicht zu schertzen ist“.15 Anspielungen
auf Wirtschafts- und Finanzkrisen, zum Beispiel auf die enorme Inflation in
Österreich während des zweiten Jahrzehnts des 19.
Jahrhunderts, sollten unter-
bleiben. Die Freimaurerei war auf der Bühne tabu, weder Äußerungen für oder
gegen den Orden waren erlaubt. Die Zensur sorgte sich auch um die Nerven der
Zuschauer. Auf kaiserlichen Befehl war „alles Feuern“ auf der Bühne verboten
worden, nur „einzelne nicht stark knallende Schüsse aus Pistolen und Flinten in
guten Stücken“ waren gestattet.16
Hägelins Denkschrift und auch alle späteren Richtlinien nannten die drei
Bereiche, die auch in der Bücherzensur im Mittelpunkt standen: Angriffe auf
die (katholische) Religion, Kritik an Österreich, seiner Regierung und dem mon-
archischen Prinzip im Allgemeinen sowie Darstellungen unmoralischer und
krimineller Taten. Dazu kam noch das vierte Motiv des Schutzes der Ehre von
Einzelpersonen oder Personengruppen, insbesondere der Aristokratie, aber auch
von Berufsgruppen und Nationen.
Die Zensur machte keinen Unterschied zwischen ausländischen und einheimi-
schen Stücken. Österreichische Autoren schrieben mit der Schere im Kopf, da eine
einzige missliebige Äußerung die Publikation bzw. Aufführung eines Werks ver-
hindern oder zumindest verzögern konnte, ganz abgesehen von den aufreibenden
Diskussionen mit den Beamten. Die Situation wurde von Charles Sealsfield in Aus-
tria as It Is (1828) wohl polemisch, aber doch treffend zusammengefasst:
A more fettered being than an Austrian author surely never existed. A writer in Aus-
tria must not offend against any government; nor against any minister; nor against
any hierachy, if its members be influential; nor against the aristocracy. He must not
be liberal, nor philosophical, nor humorous – in short, he must be nothing at all.17
Ein Jahr darauf notierte Franz Grillparzer in seinem Tagebuch: „Ein östreichi-
scher Dichter sollte höher gehalten werden als jeder andere. Wer unter solchen
Umständen den Muth nicht ganz verliert, ist wahrlich ein Held.“18 Besonders
heikel war die Behandlung historischer Themen. Anspielungen auf Nationalitä-
15 Zitiert ebd., S. 328. Vgl. den kompletten Text der Denkschrift im Anhang.
16 Zitiert bei Glossy: Zur Geschichte der Theater Wiens I (1801 bis 1820), S. 144.
17 Zitiert bei Hüttner: Theatre Censorship in Metternich’s Vienna, S. 63.
18 Franz Grillparzer: Erinnerungsblätter 1822–1871, Nr. 1698, 19. Februar 1829. In: Werke in
sechs Bänden. Wien: Druck und Verlag der österreichischen Staatsdruckerei o.
J., Bd.
6, S.
131.
5.2. Die Theaterzensur in der Epoche Franz’ II./I. (1792–1835) und Ferdinands I. (1835–1848) 245
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510