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ten oder aktuelle politische Ereignisse waren strikt tabu. Die Autoren verallge-
meinerten daher gnadenlos und idealisierten historische Ereignisse oder ver-
schoben sie in geographische und/oder zeitliche Ferne. Historische Ereignisse
sollten als Folge individueller Entscheidungen und Taten erscheinen, mithin als
Folge von tugend- oder lasterhaften Charakteren. Sogar die Verherrlichung eines
Herrschers wurde als bedenklich erachtet, da das Publikum sich provoziert füh-
len konnte, dagegen Stellung zu beziehen. So berichtete der Zensor Johann
Michael Armbruster 1812 über eine Aufführung von Rudolph von Habsburg,
einem ausgesprochen patriotischen Drama:
Keine Anspielung, die das Herz des Patrioten erwärmen sollte, wurde beklatscht, und
am Schlusse war das Gezische und Gepolter so laut, daß man die letzte Szene, eine
der schönsten, die heiße Wünsche für den Habsburgischen Stamm aussprach und auf
einen guten Effekt berechnet war, nicht einmal hören konnte.19
Die populären Theater vermieden politische Themen. In den Jahren der Res-
tauration kehrte Hanswurst, der nun Kasperl, Thaddädl oder Staberl hieß, nach-
dem er seit 1770 verbannt gewesen war, auf die Bühne zurück; beliebt waren
ferner Schauerstücke, analog zur Mode des Schauerromans. Bis in die 20er Jah-
re hinein besaß das führende Wiener Volkstheater, das Theater in der Leopold-
stadt, eine Spezialerlaubnis zur Aufführung harmloser Unterhaltungsstücke und
insbesondere zur Inszenierung von Komödien mit Rittern, Geistern und Feen.
Die Behörden folgten der Strategie, den Untertanen panem et circenses zu bie-
ten, und tolerierten den Unterhaltungsbetrieb, solange er politischen Themen
auswich. Man erachtete preisgünstige Unterhaltung als unumgängliche Notwen-
digkeit in Großstädten, die eine Unterschicht von gewisser Größe beherbergten.
Aus der Sicht der Polizei war der Theaterbesuch wünschenswert, weil er „leads
people away from the more expensive, often unsalubrious pubs, coffee-houses
and gambling-houses to better amusements, with some influence on education
and morals, and keeps the theatregoer under public observation and order for
the duration of the performance“.20
Die Autoren hatten Verträge mit den populären Theatern, die sie verpflich-
teten, eine bestimmte Anzahl von Stücken pro Jahr zu liefern. Aus diesem Grund
übten sie Selbstzensur, um geschäftsstörende Schwierigkeiten mit der Zensur
möglichst zu vermeiden. Carl Carl, der wichtigste Theaterleiter im Bereich des
volkstümlichen Schauspiels, akzeptierte kein neues Stück, dessen Unbedenk-
lichkeit vom Standpunkt der Zensur nicht gesichert war. Sogar eine bekannte
und beliebte Autorin wie Charlotte Birch-Pfeiffer erhielt keinen Kreuzer für ein
19 Zitiert in Glossy: Zur Geschichte der Theater Wiens I (1801 bis 1820), S. 156.
20 Zitiert bei Hüttner: Theatre Censorship in Metternich’s Vienna, S. 62.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
246 5. Die Theaterzensur
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510