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noch eine Nation beleidigt werden, da dies den Frieden innerhalb der Monar-
chie gefährden bzw. diplomatische Verwicklungen mit anderen Staaten hätte
auslösen können. In den Jahren der Kriege gegen Frankreich waren Stücke, die
Napoleon positiv darstellten, aber auch solche, die ihn kritisierten, verboten.
Sogar eine mögliche Parallele zwischen einer auf die Bühne gebrachten histori-
schen Person und Napoleon konnte zu einem Verbot führen, so geschehen im
Fall von Friedrich Wilhelm Zieglers Thekla, die Wienerin (1806), einem Stück
über die Belagerung Wiens durch die Böhmen im Jahr 1278. Das Stück wurde
verboten, weil die Zensoren befürchteten, dass die französische Botschaft die
Böhmen mit den Franzosen und König Ottokar mit Napoleon identifizieren
würde. Ein weiteres Beispiel ist Zacharias Werners Attila, der 1807 nur geneh-
migt wurde, nachdem alle Szenen und Bemerkungen, die Parallelen zu dem
aktuellen Eroberer Europas ermöglichten, gestrichen worden waren. Nachdem
Napoleon Erzherzogin Marie-Louise geheiratet hatte, wurde ein Stück über
Friedrich den Streitbaren von Matthäus Collin verboten, weil auch Friedrich
seine Frau verlässt, um eine andere zu heiraten. In diesen Jahren waren sogar
Titel wie Mord und Totschlag, oder: So kriegt man die Louise von einem gewissen
Karl Koch inakzeptabel.24 Carl Ludwig Costenoble, ein Burgtheater-Schauspie-
ler, berichtete, dass Titel wie Der alte Junggeselle und Trau, Schau, Wem? zu Die
Hausgenossen bzw. Wie man sich täuscht verändert wurden, weil der erste als
Anspielung auf Kaiser Franz und der zweite als boshafte Anspielung auf die Kai-
serin verstanden werden konnte.25
1810 teilte der Polizeiminister dem Kaiser mit, dass es unmöglich sei, „alles
zu ahnen, aus welchem ein so witz- und deutungslustiges Publicum, wie das
wienerische ist, mit Anstrengung seiner lebhaften Imagination auf Kosten der
klaren und verständlichen Ansicht irgend eine Anspielung heraus zu zwingen
vermöge“.26 Er hatte Recht. Zeitgenössischen Berichten zufolge war das Publi-
kum geradezu begierig, Anspielungen aus Texten herauszuhören. So wurden die
folgenden Worte Sopirs in Voltaires Mahomet
Und jeder muthige Betrüger dürfte
Den Menschen eine Kette geben? Er
Hat zu betrügen Recht, wenn er mit Größe
Betrügt?
24 Glossy: Zur Geschichte der Wiener Theatercensur, S. 87, 105, 117–118, 126–127 u. 136.
25 Vgl. Christian Grawe: Grillparzers Dramatik als Problem der zeitgenössischen österreichischen
Theaterzensur. In: August Obermayer (Hg.): „Was nützt der Glaube ohne Werke ...“ Studien zu
Franz Grillparzer anläßlich seines 200.
Geburtstages. Dunedin, NZ: University of Otago 1992,
S. 162–190, hier S. 171.
26 Zitiert in Carl Glossy: Zur Geschichte des Trauerspieles: „König Ottokars Glück und Ende“.
In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft 9 (1899), S. 213–247, hier S. 225.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
248 5. Die Theaterzensur
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510