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führung im Burgtheater einzurichten, und akzeptierte im Vorhinein die höhere
Einsicht der Zensoren: „Es würde mir sogar lieb seyn, wenn die Wiener Censur,
überzeugt von meinen Grundsätzen, das Manuskript darnach beurteilen wollte.
Und wäre mir zufällig auch etwas entwischt, was auf der Bühne mißdeutet wer-
den könnte, so würde ich mich ohne alles Bedenken der nöthigen Auslassung
unterwerfen.“33 Offensichtlich war es sein oberstes Ziel, seine Stücke zur Auf-
führung zu bringen; gekürzte und entschärfte Fassungen waren ihm lieber als
gar keine Aufführungen, und er ging davon aus, dass die Stücke trotz drastischer
Eingriffe noch immer genug von seinen Ideen an das Publikum vermittelten.
Ohnehin ging er von einer Verbesserung der Zustände durch langfristige Fort-
schritte infolge moralischer und ästhetischer Erziehung aus, die von der Zensur
nicht verhindert werden konnten.34
Fast alle Stücke Shakespeares mussten mit der Schere bearbeitet werden, wenn
man sie auf einer österreichischen Bühne aufführen wollte. Schreyvogel hatte
1822 in seiner Version das tragische Ende von King Lear beibehalten, dieser Ver-
fall eines Königs schien der Zensur aber nicht opportun. Es wurde eine Fassung
zugelassen, in der Lear and Cordelia am Leben bleiben und der König über sei-
ne bösen Töchter die Oberhand behält.35 In Hamlet mussten die Friedhofssze-
nen entfallen, weil kein kirchlicher Amtssträger auf der Bühne auftreten durfte.
The Merchant of Venice wurde 1822 verboten, weil die Auseinandersetzungen
zwischen Shylock und seinen christlichen Widersachern als ein zu heikles The-
ma empfunden wurden. Möglicherweise wurde auch Rücksicht auf die oben
erwähnte Bitte der Jüdischen Gemeinde genommen. Als das Stück 1827 doch
zugelassen wurde, fehlten wichtige Teile.36
Als Beispiel zeitgenössischer fremdsprachiger Dramatik sei nur Victor Hugo
erwähnt, dessen romantische Stücke von der Zensur äußerst argwöhnisch betrach-
tet wurden. Sein Hernani, in der deutschen Fassung mit dem Titel „Die Milde
der Majestät“ versehen, wurde verboten, weil die Figur des Königs sich in Lie-
besangelegenheiten sehr unehrenhaft benahm und eine Verschwörung auslöste.
33 Zitiert in Hadamowsky: Schiller auf der Wiener Bühne, S. 16.
34 Auch andernorts, zum Beispiel in Hamburg, Berlin, Stuttgart und Frankfurt, mussten Schillers
Stücke bearbeitet werden. Dabei, wie auch bei der Drucklegung seiner Werke, zeigte sich der
Autor im Allgemeinen bereit zu Kompromissen; vgl. John
A. McCarthy: „Morgendämmerung
und Wahrheit“. Schiller and Censorship. In: Herbert G. Göpfert/Erdmann Weyrauch (Hg.):
„Unmoralisch an sich ...“. Zensur im 18. und 19.
Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz 1988,
S.
231–248, und Peter Höyng: Die Sterne, die Zensur und das Vaterland. Geschichte und The-
ater im späten 18. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2003, S. 79–96.
35 Vgl. W. E. Yates: Theatre in Vienna. A Critical History, 1776–1996. Cambridge: Cambridge
University Press 1996, S. 31–32.
36 Vgl. Michael R. Jones: Censorship as an Obstacle to the Production of Shakespeare on the Sta-
ge of the Burgtheater in the Nineteenth Century. In: German Life & Letters 27 (1973/74),
S. 187–194, hier S. 191.
5.2. Die Theaterzensur in der Epoche Franz’ II./I. (1792–1835) und Ferdinands I. (1835–1848) 251
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510