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Vogel verwandelten Prinzessin durch das Leben, fühlt sich von bösen Feen in
verschiedenster Gestalt verfolgt, ehe er die gesuchte Geliebte in einer realen
Landadeligen findet.
Die Geschichte enthält eine Reihe von lasziven Situationen und Bemerkun-
gen, die einem maria-theresianischen Zensor missfallen mussten. So ist von
einem für weibliche Reize anfälligen Pfarrer die Rede oder von einem hässlichen
Gnom, der die Fee Krystalline dennoch aufgrund eines Spiels der Natur „nur in
einem einzigen Stücke“135 für sich zu begeistern weiß und später auch „bey den
meisten Hofdamen einen Beyfall erhielt, der ihren Liebhabern nicht ganz gleich-
gültig war“.136 Ferner finden sich kritische und satirische Bemerkungen über
Monarchen, so über Alexander, Konstantin, Karl, Otto und Ludwig sowie 20
andere, die den Beinamen „der Große“ getragen haben, aber „auf Unkosten des
menschlichen Geschlechtes gross gewesen sind“, indem sie Blutbäder angerich-
tet haben.137 Der König des Biribinker-Märchens wiederum ist moralischen
Anfechtungen durch Tänzerinnen und Kammerfräulein ausgesetzt. Auch wer-
den immer wieder Geheimlehren genannt, neben Ramon Lull, Paracelsus, Gior-
dano Bruno und Reuchlin auch Swedenborg oder die antike Lehre vom Weiter-
leben der Seelen im Elysium.
In erster Linie aber mussten Wielands Erörterungen über die Verwechslung
von Fiktion und Realität Anstoß erregen, weil sich Parallelen zum Glauben an
religiöse Offenbarungen und Wundergeschichten aufdrängten. Wieland ver-
gleicht in der Schlüsselpassage, in der Don Sylvio desillusioniert wird, die Feen-
märchen mit den Werken von Geschichtsschreibern, deren Texte durch Tradie-
rung über Jahrtausende verfälscht würden, und mit dem Koran138 – die Leser
mussten aber unweigerlich an die christliche Religion denken. An einer frühen
Stelle, als er unter dem Titel „unmassgebliche Gedanken des Autors“ seine Skep-
sis gegen in blaue Schmetterlinge verwandelte Prinzessinnen und in Zahnsto-
cher mutierte grüne Zwerge äußert, wagt Wieland in einer Fußnote sogar den
Bezug zu einer christlichen Mystikerin:
Schwester Marie von Koronel, nach dem Orte ihres Aufenthaltes von Agreda
genannt, hat im siebzehnten Jahrhundert viel Aufsehens durch ein Buch gemacht,
zu dessen Herausgebung sie, ihrem Vorgeben nach, von Gott und der heiligen
Jungfrau ausdrücklich befehligt wurde. Dieses Buch führt den Titel, Mystische Stadt
Gottes, und enthält eine angebliche Geschichte des Lebens der heiligen Jungfrau,
135 Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva. 2 Theile. Leipzig, bey Georg Joachim Göschen
1795 (C. M. Wielands Sämmtliche Werke, Bd. 11 u. 12), Bd. 2, S. 177 u. 178.
136 Ebd., Bd. 2, S. 277.
137 Ebd., Bd. 2, S. 148.
138 Vgl. ebd., Bd. 1, S. 319. 6.4. Die deutsche Klassik 303
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510