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natur‘ aus dem Verkehr gezogen wurde. Großmutter Meunier zieht ihre beiden
Enkel Joseph, den frechen ‚Gassenjungen‘, der diverse Abenteuer erlebt, und Eli-
sa auf. In dem Haus, in dem sie wohnen, hat sich ein geheimnisvoller junger
Maler namens Amédée eingemietet, der Madame Meuniers Porträt malt und
sich auffällig für die hübsche Elisa interessiert. Joseph findet heraus, dass Amédée
der Sohn des Generals de Morin und ein reicher Lebemann ist, der zudem nach
dem Willen seiner Familie eine andere, standesgemäße Frau heiraten soll. Der
Gamin sucht den General auf und klärt ihn über das unlautere Doppelleben sei-
nes Sohnes auf. Der General, ein Ehrenmann, befindet, dass man Elisa nicht
einfach fallen lassen darf. Joseph vertritt das ‚Volk‘ gegenüber der anmaßenden
Aristokratie, die von Amédées Tante repräsentiert wird. Er weist das Ansinnen,
eine Geldsumme als Entschädigung für die Entehrung seiner Schwester anzu-
nehmen, empört zurück. Daraus ergibt sich eine offene Auseinandersetzung
zwischen den Klassen: Joseph verabscheut das arrogante aristokratische Gehabe
(„je me moque des grands airs“398), Madame de Morin sieht in ihm nur einen
ungezogenen Proleten („un ouvrier mal appris“399). Der General ist sich zwar
der Tatsache bewusst, dass er und seine Schwester selbst aus einfachen Verhält-
nissen stammen und ihren gesellschaftlichen Rang nur dem Glück und Napo-
leon verdanken. Eine Ehe zwischen den Klassen scheint aber dennoch unmög-
lich. Ein Ausweg aus dieser Pattsituation ergibt sich erst, als sich herausstellt,
dass Elisas und Josephs Vater ein tapferer Offizier, und zwar zuletzt Capitaine,
unter Napoleon war. Hier ist nun auch endlich der Punkt erreicht, aus dem sich
ein Verbotsgrund erschließt. Denn der General erkennt, dass er Elisas und Josephs
Vater von der Schlacht von Wagram gegen Österreich her kennt und er ihn sogar
persönlich dekoriert hat. Auch sehnt er sich, unter der Gicht leidend, nach der
Zeit der Schlachten unter Napoleon zurück: „Je regrette Napoléon, et je n’ai pas
tort … il m’aurait fait tuer sur un champ de bataille, lui … cela valait mieux que
de venir mourir en détail sur un canapé …“.400 (Ich sehne mich nach Napoleon
zurück, und das mit Recht … unter ihm würde ich auf einem Schlachtfeld ster-
ben … das wäre besser als langsam auf einem Sofa dahinzusiechen …).401 Auf-
grund der gemeinsamen militärischen Vergangenheit mit Josephs und Elisas
Vater beschließt der General, Elisas Familie in sein Landhaus aufzunehmen.
Amédée soll zum Militär gehen, um sich endlich zu bewehren und moralisch
für eine spätere Heirat mit Elisa zu qualifizieren. Um seine versnobte Schwester
zu ärgern, stimmt er im letzten Moment aber der sofortigen Ehe der beiden zu.
398 Ebd., S. 89.
399 Ebd., S. 9.
400 Ebd., S. 72.
401 Die Übersetzungen der Zitate aus Le gamin de Paris stammen vom Verfasser, N. B.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
386 6. Fallstudien
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Title
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Author
- Norbert Bachleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 532
- Keywords
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510