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Im Oktober 2008 verunglückte Haider tödlich. Doch der »Erlöser ist unsterb-
lich«535, schrieb Jelinek in einem sarkastischen Nachruf auf den Verunglückten.
Haiders »Gesinnungskameraden«536 tragen sein politisches Erbe weiter, das mit
der Beschönigung der österreichischen NS-Vergangenheit spielt, gegen Auslän-
der hetzt und gegen linke KĂĽnstler agitiert.
Auch Antisemitismus und Anti-Israelismus tauchen in der politischen De-
batte da auf, wo sie hineinzupassen vorgeben. Ein Beispiel dafĂĽr lieferte die
FPĂ– unter der FĂĽhrung von Heinz-Christian Strache im Europa-Wahlkampf
2009, als sie in der »Kronen Zeitung« ein Inserat schalten ließ, in welchem sie
nicht nur gegen den EU-Beitritt der TĂĽrkei, sondern auch gegen den Beitritt
Israels wetterte – der natürlich nie ernsthaft zur Debatte stand. Die FPÖ be-
treibe ein »hinterfotziges Spiel« mit Antisemitismus und Anti-Israelismus, der
»fixer Bestandteil des FPÖ-Universums« sei, so der Standard-Redakteur Hans
Rauscher : »Das war schon unter Haider so und ist unter Strache nicht anderes
[sic].«537
Bei den älteren Autoren, die Kinder des Zweiten Weltkriegs sind, zeige sich,
so GĂĽnther Scheidl, dass der Nationalsozialismus und sein Weiterleben in den
Nachkriegsjahren Schlüsselerfahrungen bleiben, »auf welche gegenwärtige Er-
scheinungen des rechten bzw. rechtsextremen Gedankenguts rĂĽckbezogen wer-
den«538 – und meint damit etwa auch Jelineks Vergleiche Haiders mit Hitler
oder der FPĂ– mit der NSDAP. Scheidl bezweifelt jedoch, dass man diesen Er-
scheinungen dadurch gerecht werden oder sie besser begreifen könne.539
Der Stoff für ihr Lebensthema geht Jelinek nicht aus. Regelmäßig stellt sie
Essays und Kommentare auf ihre Homepage, in welchen sie auf aktuelle innen-
politische Diskurse und Geschehnisse Bezug nimmt. Seit der Verleihung des
Nobelpreises hat sie auĂźerdem einen (Online-)Roman und zahlreiche Theater-
stĂĽcke verfasst.
In »Rechnitz – der Würgeengel« (2008) steht die Destruktion des Opfermy-
thos sowohl ex- als auch implizit im Vordergrund. Thematisiert wird in dem
StĂĽck ein Massaker an 200Â jĂĽdischen Zwangsarbeitern, das im Zuge eines von
Margit Batthyány (geb. Thyssen-Bornemisza) veranstalteten Festes im März
1945 im burgenländischen Rechnitz stattgefunden hat.540
535 Jelinek, Von Ewigkeit zu Ewigkeit, unpaginiert.
536 »Gesinnungskameraden« und »Gesinnungsgemeinschaft« waren Lieblingswörter von Jörg
Haider, worauf Jelinek in einem Essay ĂĽber den als sehr rechts bekannten FPĂ–-Politiker Jo-
hann Gudenus hinweist : Jelinek, Schamlos : die Zeit, unpaginiert.
537 Kommentar in : Der Standard, RAU, 19. Mai 2009
538 Scheidl, Ein Land auf dem rechten Weg, S. 152.
539 Vgl. ebd.
540 Vgl. Janke, Elfriede Jelineks »Rechnitz (Der Würgeengel)«. Vgl. auch : Manoschek, Der Fall
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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂĽmee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319