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wurden von Carmen Renate Köper (Käthe), Wolfgang Krassnitzer (Istvan),
Robert Tillian (Schorsch) und Luise Prasser (Resi) verkörpert. Zankls In-
szenierung erhielt in der Folge Einladungen zum Berliner Theatertreffen, zu
den Mülheimer Theatertagen, zu den Berner Theaterwochen des zeitgenössi-
schen Theaters und zum Theatertreffen in Nordrhein-Westfalen.268 Innerhalb
der deutschen (auch : der schweizerischen) Theaterszene reagierte man dem-
nach mit Interesse an dem StĂĽck. Dieses fand Anerkennung und Beifall in
einem Deutschland, das seine NS-Geschichte durch kritische Reflexion, aber
auch durch institutionelle und demokratiepolitische Reformen »internali-
siert«269 hatte, anders als Österreich, wo in den 1980er Jahren (noch vor der
Waldheim-Affäre) von offizieller Seite her kein Zweifel an der Opferthese
zugelassen wurde.270 Nicht aber in Deutschland, wo die Kontexte des StĂĽcks
und dessen Sprache aufgrund des starken Ă–sterreich-Bezugs nicht dementspre-
chend rezipiert werden konnten, sondern in Österreich löste die Aufführung
von »Burg theater« einen wahren Theater- und Medienskandal aus. Jelinek hatte
mit »Burg theater« ein heißes Eisen in die Hand genommen, denn in Österreich
genossen Paula Wessely und die Hörbiger-Brüder auch in den 1980er Jahren
noch hohes Ansehen : Sie galten als Gallionsfiguren sowohl des Wiener Burg-
theaters als auch des österreichischen Nachkriegsfilms.
Mit einem Schlag war Elfriede Jelinek eine persona non grata der österreichi-
schen Literaturszene – so empfand sie es jedenfalls selbst :
»Ich würde sagen, es war der Beginn des Abstiegs von mir als Autorin in Österreich. …
Es wurde jetzt nicht diskutiert, was diese Schauspielerin getan hat oder nicht getan hat,
oder ihre Familie getan hat oder nicht getan hat, das hat niemanden interessiert. … Es
hat mich meinen guten Ruf als Autorin gekostet. Diese Unterstellungen haben damals
begonnen, denn man sagt nicht, ich hätte die Wahrheit gesagt oder versucht über diese
Wahrheit jetzt zu sprechen, sondern man sagt, ich hätte etwas gesagt, was man besser
nicht hätte sagen dürfen, was man besser hätte ruhen lassen.«271
Mit dieser Einschätzung hatte Jelinek jedenfalls nicht Unrecht. Das Ehepaar
Wessely/Hörbiger wurde von führenden Medien und Politikern geradezu ag-
gressiv verteidigt und das Stück als »beispiellose Majestätsbeleidigung«272 ab-
qualifiziert. Der Chefredakteur des Wochenmagazins profil, Peter Michael Lin-
268 Vgl. Hochholdinger-Reiterer, Amok, S. 44.
269 Lepsius, Das Erbe des Nationalsozialismus, S. 251. Siehe auch Kapitel 1.4.4 dieser Studie.
270 Vgl. Kapitel 1.4.4 dieser Studie.
271 Jelinek, zitiert nach : »Wer hat Angst vor Elfriede J. ?«, TV-Dokumentation.
272 Hochholdinger-Reiterer, Amok, S. 45.
156 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂĽmee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319