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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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Hinzu kommt eine poetologische Weiterentwicklung in Jelineks Schaffen, in welchem die Autorin die ErzĂ€hlinstanzen in all ihren Texten, epischen wie auch dramatischen, immer mehr in den Vordergrund rĂŒckte. In ihrem bislang letzten Roman, »Neid«, der 2007 in Fortsetzungen online auf Jelineks Homepage ver- öffentlicht wurde, ließ die Autorin die vordergrĂŒndige Handlung rund um die Geigenlehrerin Brigitte K. schließlich vollends von einer reflexiv inszenierten Autorschaft dominieren.591 In »Die Kinder der Toten« tritt die ErzĂ€hlinstanz vor allem als Sprachrohr eines sich widersprechenden Kollektivs in Erscheinung. Dieser Widerspruch bezieht sich auf die Art und Weise des Umgangs mit der nationalsozialisti- schen Vergangenheit Österreichs, in der Opfer-Mythologeme vordergrĂŒndige SchuldeingestĂ€ndnisse ĂŒberlagern. Vor dem Hintergrund des Entstehungskon- texts und der angesprochenen poetologischen Überlegungen kann die ErzĂ€hl- instanz damit als Kippfigur zwischen Opfer- und TĂ€terschaft ausgemacht wer- den. Anhand dieses sprachlichen Kunstgriffs, mit dem Jelinek eine »Opfer-TĂ€ter- Kippfigur« geschaffen hat, kritisiert sie genau jenen erinnerungsgeschichtlichen Kompromiss, der sich seit den 1990er Jahren als offizielle Haltung Österreichs zu der Beteiligung an den Verbrechen des NS-Regimes durchgesetzt zu ha- ben scheint und den Botz  – auch in Hinblick auf jĂŒngste Entwicklungen  – als »Opfer- TĂ€ter-GedĂ€chtnis«592 bezeichnet. Dieses beinhaltet sowohl das Einge- stĂ€ndnis der Mitverantwortung als auch das Beharren auf dem Opfermythos.593 Die Opfer-TĂ€ter-Kippfigur bleibt bis zum Ende des Romans eine unfassbare GrĂ¶ĂŸe : Als Leser weiß man nie so recht, woran man gerade ist. Eine Identifi- kation ist in jedem Falle ausgeschlossen. Damit, dass gewisse Unklarheiten vor- handen sind, die auch zum Ende hin nicht aufgelöst werden, muss sich der Leser letztlich abfinden, denn gerade sie machen eines der wesentlichen Charakte- ristika von »Die Kinder der Toten« aus : die Ungewissheit von hier und jetzt, die auf eine Vergangenheit zurĂŒckzufĂŒhren ist, in der sich das angesprochene Kollektiv, die österreichische Bevölkerung, schuldig gemacht hat. Das wahre VersĂ€umnis, das hier angeprangert wird, besteht  – wie auch in an- deren Texten Jelineks  – darin, aus der rĂŒckschauenden Perspektive kein hinrei- chendes Unrechtsbewusstsein entwickelt zu haben, was an der unzulĂ€nglichen Sprachverwendung ĂŒber den Holocaust (ein Schwanken zwischen Leugnung und routiniertem Bedauern) abgelesen werden kann. Jelineks literarische Ab- rechnung mit diesem unverzeihbaren VersĂ€umnis macht alle Österreicher zu 591 Vgl. Pontzen, PietĂ€tlose Rezeption, S.  57 (Fußnote 23). 592 Botz, Nachhall und Modifikationen, S.  601. 593 Vgl. Kapitel  1.4.4 dieser Studie. 207 »Die Kinder der Toten«  |
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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek Eine historiografische Untersuchung
Title
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Subtitle
Eine historiografische Untersuchung
Author
Sylvia Paulischin-Hovdar
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2017
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20325-4
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
328
Keywords
Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort 7
  2. 1. Einleitung 11
    1. 1.1 Inhalte und Ziele 12
    2. 1.2 Forschungsstand 16
    3. 1.3 Darstellung der Gliederung 20
    4. 1.4 Diskussion der zentralen Begriffe 22
      1. 1.4.1 »Faschismus« 23
      2. 1.4.2 »Nationalsozialismus« 36
      3. 1.4.3 »Mythos« nach Roland Barthes 41
      4. 1.4.4 Der Begriff »Opfermythos« 43
    5. 1.5 Elfriede Jelinek : AnnĂ€herung an eine »synthetische KĂŒnstlerbiografie« 55
    6. 1.6 Poetologische EinfĂŒhrung 67
      1. 1.6.1 Jelineks Àsthetische Position : »Tradition des Sezierens« 67
      2. 1.6.2 Destruktion des Opfermythos : »Das ist mein Angelpunkt« 79
  3. 2. Methodische Reflexion 99
    1. 2.1 Zur IntertextualitÀt 100
    2. 2.2 Darstellung der angewandten Methodik 105
  4. 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
    1. 3.1 »Burg theater« 108
      1. 3.1.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 108
      2. 3.1.2 Formales, Setting und Plot 112
      3. 3.1.3 Die Figuren : »Sprachschablonen« 115
      4. 3.1.4 Die Sprache : ein Mythos 143
      5. 3.1.5 Die Rezeption : ein Skandal 155
      6. 3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos 158
    2. 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
      1. 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
      2. 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
      3. 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
      4. 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
      5. 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
      6. 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
    3. 3.3 »Das Lebewohl« 247
      1. 3.3.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 247
      2. 3.3.2 Formales, Setting und Plot 250
      3. 3.3.3 Der Sprecher : Destruktion eines vermenschlichten Mythos 252
      4. 3.3.4 Entstehungskontext und Rezeption 274
  5. 4. ResĂŒmee 279
    1. 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 280
    2. 4.2 InterdisziplinÀre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur 291
  6. 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
  7. 6. Anhang 299
    1. 6.1 Literaturverzeichnis 300
      1. 6.1.1 PrimÀrliteratur 300
      2. 6.1.2 SekundÀr- und Referenzliteratur 301
      3. 6.1.3 Zeitungen und Zeitschriften 316
      4. 6.1.4 Filme und TV-BeitrÀge 317
      5. 6.1.5 Internet-Seiten 317
    2. 6.2 Abbildungsverzeichnis 318
  8. 7. Register 319
    1. 7.1 Personenregister 319
    2. 7.2 Sachregister 321
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