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»Ich kann das nicht so gut erzĂ€hlen⊠Ich versuchs trotzdemâŠÂ«602
Im Besonderen sind es die Beschreibungen der »Mutter-Tochter-Hölle«603
zwischen Karin Frenzel und deren dominanter Mutter, die frappante Ăhn-
lichkeiten zu Jelineks eigener biografischer Legende aufweist. Vor allem ist
man immer wieder an die Figur der Erika Kohut erinnert, der Titelheldin
jenes Romans, den Jelinek in Interviews wiederholt als ihre eingeschrÀnkte
Biografie bezeichnet hat : »Die Klavierspielerin«.604 »NatĂŒrlich erinnert das
Psychogramm der Figur an Erika Kohut«605, vermerkt Pontzen, doch sei dieses
Motiv nur ein Biographem der Figur unter anderen (womit sie â wahrschein-
lich unwillentlich â die Autorinnenbiografie mit jener der Romanfigur Erika
Kohut gleichsetzt).
So wird die untote Hauptfigur Karin in »Die Kinder der Toten« als »ewige
Tochter«606 bezeichnet, deren Mutter ĂŒblicherweise im »befehlerischen Ton«607
zu ihr spricht und sich »wie eine gehĂ€kelte KlopapierhĂŒlle« ĂŒber sie stĂŒlpt, »fĂŒr
den Fall, daà einer sie einwickeln möchte«608. In ihrer Ehe war die verwitwete
Karin eine Gefangene gewesen, auch im Bereich der SexualitĂ€t â schlieĂlich
wird die Figur als ein Mensch beschrieben, der sich »nicht frĂŒh genug auf die
Hinterbeine gestellt« hat, »damit man sein Geschlecht einmal sehen kann«609.
Nach dem Unfall muss sie das VersÀumte im Tod nachholen, was sich vor allem
in sexuellen Handlungen mit anderen Untoten manifestiert.610 Ihren einzigen
Satz spricht die Figur, als es im Roman schlieĂlich zu einem geisterhaften »Be-
freiungsakt«611 von der Mutter kommt :
»Irgendetwas ist da an der Decke und breitet seine Arme nach seiner Mutter aus, ich
sehe es zur Zeit noch nicht ganz deutlich, aber auf jeden Fall ist es nicht Jesus, der sei-
ner Mutter einen Befehl zu geben wĂŒnscht, wer seine Kleider bekommen und an wen
das Packerl Unsterblichkeit geschickt werden soll, denn es ist ihm davon ein biĂchen
was ĂŒbriggeblieben (âŠ) Wie das Licht möchte nun auch das Leben Karin verlassen, es
zanken sich lĂ€ngst schon welche um ihr Kleid. (âŠ) Als hauchte man schrĂ€g ĂŒber den
602 KDT, S. 480.
603 Radisch, Maxima Moralia, unpaginiert.
604 Vgl. Kapitel 1.5 dieser Studie.
605 Pontzen, PietĂ€tlose Rezeption, S. 57 (FuĂnote 23).
606 KDT, S. 236.
607 KDT, S. 482.
608 KDT, S. 78.
609 KDT, S. 79.
610 Vgl. Scheidl, Ein Land auf dem rechten Weg, S. 149.
611 Mayer/Koberg, Ein PortrÀt, S. 129. 209
»Die Kinder der Toten«â |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die groĂe Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂŒmee 279
- 5. Epilog â Wir warenâs nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319