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3.2.5.1 Der Mythos vom Siegen : Sport ist Krieg
»… Sport ist doch Krieg ; oft wird mit anderen
Mitteln gekämpft, manchmal auch mit den
gleichen.«633
Nach eigener Aussage empfindet Elfriede Jelinek einen allgemeinen »Haß auf
Sportler«634. Dieser ziehe sich als Thema durch all ihre Texte. In »Die Kinder der
Toten« wird die scheinbare Harmlosigkeit des Sports auf Jelinek’sche Manier als
Mythos destruiert. So wird etwa die Ausdrucksweise der Sportberichterstattung
in »Die Kinder der Toten« hinterfragt, indem Jelinek die Reportersprache ko-
piert und sprachliche Parallelen zum Krieg herstellt : Sport sei ein »Kampf gegen
die Uhr«635, heißt es da, an anderer Stelle wird auf den »Krieg des Sports«636 ver-
wiesen. Diese Parallele rührt nicht von ungefähr : Der Zusammenhang zwischen
Krieg und Sport und insbesondere zwischen Nationalsozialismus und Sport
wurde bereits von zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen beschrieben.637
Wie auch in Hinblick auf andere totalitäre Systeme festzustellen ist, verdankte
der Nationalsozialismus seine breite Akzeptanz der Bevölkerung in seinen An-
fangsjahren seiner geschickten propagandistischen Inszenierung, die sämtliche
Bereiche des Alltags- und Freizeitlebens erreichte. Es sei an dieser Stelle nur
an die Umorganisation des Vereinslebens verwiesen, die sich etwa im Bereich
des Sports signifikant auswirkte. Den Ergebnissen sporthistorischer Forschung
zufolge stellte gerade der Sport für die Umsetzung politischer Ziele und Inte-
ressen des nationalsozialistischen Regimes eine Reihe von funktionalisierbaren
Elementen zur Verfügung, wobei als Hauptziele die »Rassenideologie« und der
anvisierte »Angriffskrieg« zu erkennen sind.638 »Menschen üben Macht über
andere Menschen aus. Diese Macht ist immer auch eine Macht über deren Kör-
per«639, so der Sportwissenschafter und Historiker Rudolf Müllner. Die national-
sozialistische Sportpolitik habe sich an der Formierung eines imaginären sport-
lichen »Volkskörpers« orientiert. Die angestrebte Massenertüchtigung sei dabei
unter die Leitziele »Volksgemeinschaft, Wehrhaftigkeit, Rassenbewusstsein und
Führertum« gestellt worden. Diese Parameter seien allen Organisationsformen
633 Jelinek, zitiert nach : Venckute, Elfriede Jelinek im Zenit des Ruhms, unpaginiert.
634 Dies, zitiert nach : Ebd.
635 KDT, S. 25.
636 KDT, S. 32.
637 Auch in Kapitel 1.4.1 dieser Studie.wurde bereits darauf verwiesen.
638 Vgl. Müllner, Die Mobilisierung der Körper, S. 7.
639 Ebd., S. 11.
214 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319