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wurde653Â â einem Nationalsozialisten der ersten Stunde, der als Leiter des Nati-
onalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) auf dem Salzburger Residenplatz die
einzige BĂŒcherverbrennung in Ăsterreich veranstaltete.654
Eine nicht-wissenschaftliche, sondern poetische Auseinandersetzung mit
dieser Problematik findet sich in »Die Kinder der Toten«, wobei auch hier fest-
zustellen ist, dass Jelinek mit dem scharfen Blick als Autorin genau jene Me-
chanismen beschreibt, die auch in der kritischen Sporthistoriografie untersucht
werden : die Ent-individualisierung im Sport, das Aufgehen in der Gemeinschaft
eines sportlichen Sinnkollektivs zur StÀrkung völkischen Zusammenhalts sowie
die Schaffung von (Sport-)Mythen und deren personifizierter AushÀngeschilder.
Als scheinbar »schuldlos«655 werden Ăsterreichs Idole, namentlich Anita
Wachter, Roman Ortner und Patrick Ortlieb, die Skistars der 1990er Jahre, in
Jelineks Roman entlarvt. Auch damals populÀre Tennisstars wie Boris Becker,
Steffi Graf (»Boris ! Steffi !«656) und Thomas Muster (der »Spieler Muster«657)
oder die Formel 1-Fahrer Gerhard Berger (»Sieg fĂŒr Gerhard Berger !«658) und
Karl Wendlinger (»⊠ein Fingerzeig ⊠des Gottes Wendlinger«659) werden
erwĂ€hntÂ
â jedoch nur als Statisten einer unheimlichen Szenerie. Dominant sind
die wiederholten Seitenhiebe auf den alpinen Skisport, die zum Teil auch recht
detailliert und ausgeschmĂŒckt sind.
So wird etwa auch Ulli Maiers tödlicher Unfall 1994 bei der Kandahar-Ab-
fahrt in Garmisch-Partenkirchen zweimal genannt.660 Die Besonderheit dieses
Unfalls lag vor allem darin, dass er live im Fernsehen ĂŒbertragen wurde. »⊠oh,
das tut mir jetzt leid fĂŒr die Ulli«661, kommentiert die Fernseh-Sprecherin in »Die
Kinder der Toten« das Geschehen, das tödliche Ausmaà des Sturzes verkennend.
Solche UnglĂŒcke rauben dem Mythos Sport die scheinbare Unschuld â zumin-
dest vorĂŒbergehend. Denn tragische TodesfĂ€lle, die auch noch via TV von einem
Millionenpublikum verfolgt werden, sind selbstverstÀndlich nicht vorgesehen und
stehen in krassem Gegensatz zu den propagierten GlĂŒcksmomenten der Touris-
muswerbung. Das Rennen in Garmisch, bei dem Ulli Maier verunglĂŒckte, wurde
nach einer kurzen Unterbrechung fortgesetzt : The show must go on.
653 Sailer, Mein Weg zum dreifachen Olympiasieg.
654 Vgl. Reiter, Der WaldgÀnger, S. 309. Vgl. auch Marschik, Sportdiktatur, S. 8. Zu der Bigorafie
Toni Sailers vgl. MĂŒllner, Anton Sailer, S. 242â258.
655 KDT, S. 25.
656 KDT, S. 25.
657 KDT, S. 345.
658 KDT, S. 343.
659 KDT, S. 189.
660 Vgl. KDT, S. 24 f. sowie S. 29.
661 KDT, S. 25. 217
»Die Kinder der Toten«â |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die groĂe Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂŒmee 279
- 5. Epilog â Wir warenâs nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319