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Versatzstücke aus der Waschmittelwerbung hatte Jelinek bereits in eines ihrer
ersten Bücher, »wir sind lockvögel baby !«, eingebaut (White Giant).697 Die
Kritik an den Medien zieht sich wie ein roter Faden durch ihr literarisches Werk,
so hatte sie auch schon in dem frühen Essay »Die endlose Unschuldigkeit« die
modernen Massenmedien als »kontrollinstanzen« der Gesellschaft, das Fernse-
hen als das »massenkommunikatorische über ich« bezeichnet.698 Die Destruk-
tion des Mythos Medien gehört demnach zum Jelinek’schen Grundrepertoire.
Wie auch in Hinblick auf andere in diesem Kapitel angeführte Mythendestruk-
tionen ist auch hier wieder festzustellen, dass die Beispiele in »Die Kinder der
Toten« aufgrund der Kompimiertheit, aber auch der im Jelinek’schen Œuvre
einmaligen Länge des Texts einfach zahlreicher, zum Teil auch expliziter als in
anderen Jelinek-Texten sind, wie etwa in folgenden Textpassagen deutlich wird :
»… keine Rätsel mehr. Denn das Fernsehen hat sie uns schon tausendmal erklärt.«699
»… Ein Wirbelsturm aus Faserschmeichlermasse, wie sie uns, beim Werben um uns,
schon öfter vorgeführt worden ist, am Beispiel einer Angorajacke (›Ist die neu ? Nein,
mit Fewa Wolle gewaschen !‹). Die Durchsichtigkeit der Gefühle ist restlos entfernt
worden, sonst würde ja das Fernsehen uns anschaun und nicht wir das Fernsehen …«700
»… Sie ! Dagmar Keller oder wie Sie heißen, was verrenken Sie sich knackend den Hals,
damit Sie noch einen winzigen Moment Anwesenheit herausmelken aus dem Objektiv
dieses zur Objektivität verpflichteten Mediums, das mich, blau schimmernd, jeden Tag
um mein Leben betrügt ?«701
»… halt !, über die Showtreppe tanzen jetzt unsere Marika R. und unsere Paula W.,
hopperla, wie die ihre Gebeine um sich herumstreuen … Machen Sie keine blöden
Witze über Ernst und Juppi, die eigens hier ins Fernsehgerät gereist sind ! Die singen
doch so schön …«702
Die forcierte Auseinandersetzung mit den (vor allem österreichischen) Medien
in Jelineks Text hängt eng mit der Beurteilung der Geschichte zusammen. In
einem 1998 geführten Interview meinte Jelinek, die österreichische Presse sei
697 Vgl. Kapitel 1.6.2 dieser Studie.
698 Vgl. Kapitel 1.6.1 sowie 1.6.2 dieser Studie.
699 KDT, S. 216.
700 KDT, S. 270.
701 KDT, S. 465.
702 KDT, S. 566. 225
»Die Kinder der Toten« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319