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nicht, der ihn 1991 das Amt des Kärntner Landeshauptmanns kostete (das er
1999 wieder zurĂĽckeroberte).819
Wiederholt wird mit Wortspielen wie mit dem hölzernen Herrgott, der sich
»im rechtesten Winkerl, das Sie hier finden werden«820, befindet, auf das Er-
starken der rechtspopulistischen FPÖ Bezug genommen, denn mit der – hier
auffälligen – Verwendung des Superlativs wird klargemacht, dass mit »rechts«
keine Richtung, sondern eine politische Haltung gemeint ist.
In Hinblick auf die Entstehungskontexte des Buchs erscheint die Einbezie-
hung der Haider-FPÖ in Jelineks Text als folgerichtig, denn Jörg Haider war
das lebende Beispiel für die Kontinuität eines bestimmten »ewiggestrigen« Den-
kens.821 Zwar gestand Bundeskanzler Franz Vranitzky auf wachsenden interna-
tionalen Druck hin in einer Rede vor dem Nationalrat, die als »berühmte, gelen-
kige Rede des Vaters Franz«822 Eingang in Jelineks Roman gefunden hat, 1991
die Mitverantwortung österreichischer Bürger für die Verbrechen der NS-Zeit
ein und entschuldigte sich ausdrücklich im Namen der österreichischen Bundes-
regierung.823 Doch die Wahlerfolge der Haider-FPĂ– in den 1990er Jahren, die
mit der Regierungsbeteiligung der Partei im Jahr 2000 ihren Höhepunkt fanden,
widerspiegeln die mangelnde Verankerung dieses Eingeständnisses im kollek-
tiv-nationalen Bewusstsein. Heutzutage fĂĽhrt die FPĂ– unter Heinz Christian
Strache das Ideal der »deutschen Volksgemeinschaft«824 wieder im Parteipro-
gramm. »Das war der Hit von circa 1900 bis 1945. Jetzt haben wir es wieder im
Angebot«825, empört sich der »Standard«-Redakteur Hans Rauscher darüber.
Auch der anhaltende Erfolg der traditionell fremdenfeindlichen und anti-
semitischen »Kronen Zeitung« spricht nicht unbedingt für eine Trendwende
in der österreichischen Erinnerungskultur. So konnte der Kolumnist Richard
Nimmerrichter alias »Staberl« in den 1990er Jahren den Genozid an den Juden
ungestraft als »Märtyrer-Saga« bezeichnen und ihn mit dem seiner Meinung
819 Nach seiner Äußerung im Kärntner Landtag wurde Haider Ende Juni 1991 nach einem Miss-
trauensantrag von SPÖ und ÖVP als Kärntner Landeshauptmann abgewählt. Zu dem um-
strittenen Zitat siehe Kapitel 3.3.3.2 dieser Studie.
820 KDT, S. 21.
821 Vgl. Mayer/Koberg, Ein Porträt, S. 200.
822 KDT, S. 178.
823 Zu Vranitzkys Rede vgl. auch Kapitel 1.4.3 dieser Studie.
824 Unter Punkt 2 des FPÖ-Parteiprogramms, »Heimat, Identität und Umwelt«, ist zu lesen :
»Sprache, Geschichte und Kultur Österreichs sind deutsch. Die überwiegende Mehrheit der
Österreicher ist Teil der deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft.« Zitiert aus dem
Parteiprogramm der Freiheitlichen Partei Ă–sterreichs, Ă–sterreich zuerst, S.Â
5. Online abrufbar
unter : https://www.fpoe.at/themen/parteiprogramm/ (Zugriff am 06.09.2016).
825 Der Standard, RAU, 16./17.7.2011.
244 | Lektüre- und Deutungsvorschläge
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. ResĂĽmee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319