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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek - Eine historiografische Untersuchung
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wie auf Haiders medienwirksame Teilnahme am New York City Marathon 1999 (»   quĂ€len will ich mich nicht, höchstens beim Laufen wohin.«883), die sein Image als jung gebliebener, sportlicher ParteifĂŒhrer hervorheben sollten. Jörg Haider war bereits vor seinem Unfalltod im Oktober 2008 der ver- menschlichte Mythos eines volksnahen und geradlinigen Politikers, der die Dinge ohne Umschweife beim Namen nennt, mit Proporz und Privilegien auf- rĂ€umt und fĂŒr die Rechte der »kleinen Leute« kĂ€mpft. Diesen Mythos trĂ€gt Jelinek in »Das Lebewohl« StĂŒck fĂŒr StĂŒck ab. In ihrem Dramatext wird Haider als homophiler Narziss dargestellt, der ideo- logisch dem nationalsozialistischen Erbe seiner Familie verhaftet ist, sich aber  – ganz Populist  – fĂŒr seinen politischen Erfolg wie ein FĂ€hnchen im Wind dreht. Scheinbare und halbherzige EingestĂ€ndnisse der historischen Schuld werden als strategisches KalkĂŒl entlarvt. Dabei steht die Hauptfigur exemplarisch fĂŒr viele Österreicher  – Zeitzeugen, aber auch Nachgeborene  –, die aufgrund des Ă€ußer- lichen Drucks zwar die Verbrechen des Nationalsozialismus verurteilen, gleich- zeitig aber an dessen Mythen festhalten (Arbeitsbeschaffung, Reichautobahn- bau, Jugend- und Sozialwohlfahrt, Bedrohung des Reichs durch so genannte »Bolschewisten«, Zweiter Weltkrieg als Defensivkrieg gegen Aggressoren von außen, Mythos der »sauberen« Wehrmacht usw.). »Das Dunkel will uns stĂŒrzen und unseren Boden sehen«, beklagt Jelineks Sprecher, »doch den zeigen wir nicht, den dunklen Boden, in dem wir das Schweigen versenkten.«884 Das Motiv ist bereits aus »Die Kinder der Toten« bekannt, das hier angesprochene Schweigen meint die VerdrĂ€ngung der dunklen Vergangenheit, der Verbrechen des Nationalsozialismus  – und auch wenn man das Schweigen bricht, bleibt das Dunkel bestehen, denn : »Jetzt sprechen wir so und denken anders.«885 Das SchuldeingestĂ€ndniss ist unaufrichtig und bedient bloß den schönen Schein. Nach seinem plötzlichen Tod zollten Haider bemerkenswerterweise auch viele vormalige Kritiker Lob und Beifall fĂŒr seine BemĂŒhungen um Österreich. Alfred Gusenbauer hielt bei der Trauerfeier in Klagenfurt eine bewegte Rede, in der er dazu mahnte, den Verstorbenen ĂŒber politische Meinungsverschiedenhei- ten hinweg in seinem Bestreben fĂŒr die Heimat anzuerkennen : »Ja, am heutigen Tag sollten wir ĂŒber alle politischen Lager und Unterschiedlichkeiten hinweg sagen : Respekt und Anerkennung. Jörg Haider, du hast vieles gewollt. Du hast nicht alles, aber sehr viel erreicht. Zahlreiche Menschen danken dir dafĂŒr, und viele 883 LW, S.  16. 884 LW, S.  17. 885 LW, S.  17. Vgl. dazu LĂŒcke, Gespenster, S.  113. 253 »Das Lebewohl«  |
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Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek Eine historiografische Untersuchung
Title
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Subtitle
Eine historiografische Untersuchung
Author
Sylvia Paulischin-Hovdar
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2017
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20325-4
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
328
Keywords
Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, IntertextualitÀt
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort 7
  2. 1. Einleitung 11
    1. 1.1 Inhalte und Ziele 12
    2. 1.2 Forschungsstand 16
    3. 1.3 Darstellung der Gliederung 20
    4. 1.4 Diskussion der zentralen Begriffe 22
      1. 1.4.1 »Faschismus« 23
      2. 1.4.2 »Nationalsozialismus« 36
      3. 1.4.3 »Mythos« nach Roland Barthes 41
      4. 1.4.4 Der Begriff »Opfermythos« 43
    5. 1.5 Elfriede Jelinek : AnnĂ€herung an eine »synthetische KĂŒnstlerbiografie« 55
    6. 1.6 Poetologische EinfĂŒhrung 67
      1. 1.6.1 Jelineks Àsthetische Position : »Tradition des Sezierens« 67
      2. 1.6.2 Destruktion des Opfermythos : »Das ist mein Angelpunkt« 79
  3. 2. Methodische Reflexion 99
    1. 2.1 Zur IntertextualitÀt 100
    2. 2.2 Darstellung der angewandten Methodik 105
  4. 3. LektĂŒre- und DeutungsvorschlĂ€ge 107
    1. 3.1 »Burg theater« 108
      1. 3.1.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 108
      2. 3.1.2 Formales, Setting und Plot 112
      3. 3.1.3 Die Figuren : »Sprachschablonen« 115
      4. 3.1.4 Die Sprache : ein Mythos 143
      5. 3.1.5 Die Rezeption : ein Skandal 155
      6. 3.1.6 Die Wessely/Hörbigers : eine Potenzierung des Opfermythos 158
    2. 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
      1. 3.2.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 173
      2. 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
      3. 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
      4. 3.2.4 Die ErzÀhlinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
      5. 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
      6. 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
    3. 3.3 »Das Lebewohl« 247
      1. 3.3.1 Zur verwendeten SekundÀrliteratur 247
      2. 3.3.2 Formales, Setting und Plot 250
      3. 3.3.3 Der Sprecher : Destruktion eines vermenschlichten Mythos 252
      4. 3.3.4 Entstehungskontext und Rezeption 274
  5. 4. ResĂŒmee 279
    1. 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 280
    2. 4.2 InterdisziplinÀre Zusammenschau : Zum »Mehrwert« von Literatur 291
  6. 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
  7. 6. Anhang 299
    1. 6.1 Literaturverzeichnis 300
      1. 6.1.1 PrimÀrliteratur 300
      2. 6.1.2 SekundÀr- und Referenzliteratur 301
      3. 6.1.3 Zeitungen und Zeitschriften 316
      4. 6.1.4 Filme und TV-BeitrÀge 317
      5. 6.1.5 Internet-Seiten 317
    2. 6.2 Abbildungsverzeichnis 318
  8. 7. Register 319
    1. 7.1 Personenregister 319
    2. 7.2 Sachregister 321
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