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»… wie zur Strafe – daß ja niemand glaubt, er könne seinem Familienroman entkom-
men – erbte Haider im Jahr 1986 von seinem reichen, deutschnationalen Großonkel
das Kärntner Bärental, einen ehemals jüdischen Besitz, der mit dem Geld des Onkels
›entjudet‹ wurde. Die Bedingung der Nationalsozialisten damals war, ›das Deutschtum‹
in diesem slowenischsprachigen Teil Kärntens hochzuhalten.«976
Nun war es an Jörg Haider als Erbe, das »Deutschtum« in diesem Teil Kärn-
tens hochzuhalten
– und so »wie er sich um ein ethnisch homogenes Österreich
sorgt[e]«977, scheint er auch dieser Bedingung weitestgehend nachgekommen
zu sein.978
Der Vater, Robert Haider, war im Krieg an der West- und Ostfront mehrfach
verwundet worden, konnte aber 1945 als Leutnant in die Heimat zurückkeh-
ren.979
In den ersten Nachkriegsjahren war Robert Haider als ehemals »Illegaler«
von den Entnazifizierungsmaßnahmen der Alliierten besonders betroffen. So
musste er Massengräber für die Ermordeten im Konzentrationslager Ebensee
ausheben und wurde im Internierungslager Glasenbach bei Salzburg (das die
Mutter als »KZ« bezeichnete980) inhaftiert.
Mutter Dorothea musste in einem ehemaligen Kinderheim der Volkswohl-
fahrt Putzarbeiten verrichten, wobei sie sich sehr erniedrigt fühlte, und litt unter
dem jahrelangen Berufsverbot als Lehrerin. Außerdem verloren Haiders Eltern
ihre Wohnung in Linz und mussten in ihren Heimatort Bad Goisern zurück.
Dort lebten sie in einem Häuschen, einer »Keusche«, die sie anfangs mit einer
anderen Familie teilen mussten. Jahrelang wohnte die Familie in zwei Zimmern.
Im Zuge des Verbotsgesetzes wurden schließlich beide Eltern als »minderbelas-
tet« eingestuft.981 Politisch blieben Haiders Eltern nach dem Krieg dem natio-
nalistischen Lager verbunden. So war etwa Hermann Foppa, der letzte Obmann
der Großdeutschen Partei und Reichstagsabgeordneter der NSDAP, Taufpate für
Sohn Jörg, Jahrgang 1950.982
In diesem Rahmen nationalistischer, großdeutscher Gesinnung und unter
dem Eindruck der Schmach durch die Bestrafung der Eltern als ehemalige Na-
tionalsozialisten wurde Jörg Haider sozialisiert. Natürlich war die Elterngenera-
976 Ebd., S. 19.
977 Ebd.
978 Vgl. ebd.
979 Vgl. ebd., S. 32 ff.
980 Dorothea Haider, zitiert nach : Ebd., S. 36.
981 Vgl. ebd., S. 36.
982 Vgl. die Kurzbiografie Jörg Haiders unter : http://de.wikipedia.org/wiki/Jörg_Haider (Zugriff
am 10.10.2012). 269
»Das Lebewohl« |
Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
Eine historiografische Untersuchung
- Title
- Der Opfermythos bei Elfriede Jelinek
- Subtitle
- Eine historiografische Untersuchung
- Author
- Sylvia Paulischin-Hovdar
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20325-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 328
- Keywords
- Elfriede Jelinek, Nationalsozialismus, Faschismus, Opfermythos, Dekonstruktion, Intertextualität
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- 1. Einleitung 11
- 2. Methodische Reflexion 99
- 3. Lektüre- und Deutungsvorschläge 107
- 3.1 »Burg theater« 108
- 3.2 »Die Kinder der Toten« 173
- 3.2.1 Zur verwendeten Sekundärliteratur 173
- 3.2.2 Formales, Setting und Plot 181
- 3.2.3 Referenzen und Intertexte 186
- 3.2.4 Die Erzählinstanz als multiperspektivische Kunst- und Kippfigur 203
- 3.2.5 Der Opfermythos als perfides Geflecht nationaler Mythen 213
- 3.2.6 »Die Kinder der Toten« : Die große Anklage 245
- 3.3 »Das Lebewohl« 247
- 4. Resümee 279
- 5. Epilog – Wir waren’s nicht ? 296
- 6. Anhang 299
- 7. Register 319