Seite - 42 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Bild der Seite - 42 -
Text der Seite - 42 -
Der Scharfrichter als moderner Schelm von Bergen, als trotziger Verneiner
der Gesellschaft sowie die Versinnbild lichung des Machthungers mochten die
Grundideen des Romans gewesen sein. Die erzählerische Umsetzung des Stoffs
stieß allerdings zum Teil auf Kritik bei den Rezensenten. Paul Wertheimer
beklagt in der Neuen Freien Presse, »eine sichtbar große Begabung dem Dienst
einer grellen Tagesmode unterworfen zu sehen«:
Hier war die Mög lichkeit einer großen bitteren Swift- Satire wider die Gesellschaft.
Oder einer tiefen dostojewskyhaften Studie […]. Was ist bei Lothar aus diesen
Mög lichkeiten geworden? Er hat, ein Dichter, mit dem Herausarbeiten eines Men-
schenschicksals begonnen. Dann ist er den jetzt so beliebten Weg des Hochstapler-
und Abenteuerromans gegangen, des zeitgemäß expressionistischen Romans, dieser
Mischung von Kino- und Seelenausbrüchen, menschheitsschmerz lich garniert, mit
allen üb
lichen Zutaten […]. Auf diesem Weg des Sensa
tionell-
Theaterhaften ist Ernst
Lothar des Beifalls einer breiten, nicht der besten Leserschar gewiß. Aber gerade die
Besten, die Schätzer seiner stillen und zarten, wirk
lich an Ferdinand von Saar erin-
nernden Erzählkunst, wird er dadurch umso gewisser verstimmen.80
Manche Rezensenten erachteten Lothar als einen »Epiker großen Ausmaßes« 81
und fühlten sich an Balzac erinnert, andere sprachen davon, dass er seinen
Roman auf einer Ebene gestaltet habe, »deren Grenzen vom Wirkungsbereich
eines Heinrich Mann nicht allzu weit entfernt sein dürften«.82 Der Journalist
und Literaturhistoriker Paul Wiegler, der von 1913 bis 1925 Leiter der Roman-
abteilung im Berliner Ullstein Verlag war (hier erschien 1923 Ernst Lothars
Roman Bekenntnis eines Herzsklaven) und später Lektor des Aufbau Verlags
wurde, nannte die Trilogie »überragend durch Kraft und Weite, durch Kühn-
heit der Psychologie« 83. Die Schilderung »der schweren Not eines Menschen,
der aus der Tiefe zur Höhe will« (Kölnische Zeitung), des Weges eines Henkers
bzw. eines Menschen zu Gott (Bohemia) mache aus der Romantrilogie einen
80 Paul Wertheimer: Macht über alle Menschen. In: Neue Freie Presse, 11. 12. 1921, S. 32 f., hier
S. 33. – Negativ die Rezension von Armin Steinart- Loofs in: Das literarische Echo 25 (1922 – 23),
Sp. 932 f.
81 Alexander Baldus: Lothar, Ernst: Licht. Des Romans »Macht über alle Menschen« dritter Teil.
München: Georg Müller 1925. In: Die schöne Literatur, 10 (1925), S. 454.
82 Neue Wiener Zeitung, Weser Zeitung (abgedruckt unter dem Titel »Urteile der Presse« als
Verlagswerbung in Irr licht des Geistes).
83 Paul Wiegler: Ernst Lothar. »Der Hellseher«. In: Unidentifizierte Zeitung [B. Z. am Mittag?],
o. D. [1929], o. S. 1890 – 1925: Literarische
Nachwuchshoffnung42
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478