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versuchte der Verband der Bühnenleiter mit dem Beschluss zu beantworten,
»Stücke derjenigen Autoren, die in der gleichen Stadt das Kritikeramt ausüben,
zur Uraufführung nicht anzunehmen«. Wenn sich das Stück bei seiner Urauf-
führung »auf neutralem Boden« bewährt habe, könne es auch problemlos am
Wirkungsort des Kritiker- Autors zur Aufführung gelangen – »[d]ie Einhaltung
dieses Grundsatzes, für den Ernst Lothar am Prager Kritiker-
Kongreß wie ein
Löwe gekämpft hat, würde das Ende eines Großkapitels geistiger Korrup
tion
bedeuten«, zeigt sich der Brünner Tagesbote überzeugt.7 Dass es auch proble-
matisch sein könnte, wenn Theaterkritiker die Stücke ihrer Kollegen bewerte-
ten, schien Lothar weniger Kopfzerbrechen zu bereiten, seine Urteile über die
Thea terstücke seiner Kritikerkollegen bei der Neuen Freien Presse fallen jeden-
falls schmeichelhaft aus.8
Die Posi tion als Kritiker brachte es nicht nur mit sich, dass Künstler oder
solche, die es noch werden wollten, Lothar ihre Arbeiten mit dem Wunsch nach
Rat und Unterstützung zusandten,9 auch Aufforderungen zu Interven
tionen in
den Theaterbetrieb wurden an ihn gerichtet. Rudolf Holzer, seines Zeichens
Publizist, Theaterkritiker und (Chef-)Redakteur der Wiener Zeitung sowie Prä-
sident der Concordia, drängte Ernst Lothar 1925 zu einer Interven
tion zuguns-
ten seiner Frau, der am Deutschen Volkstheater beschäftigten Schauspielerin
Alice Hetsey. Lothar ließ ihn wissen, dass er »Einmengungen eines Kritikers in
die administrative Ges tion einer Theaterleitung für durchaus unzuläßig« halte:
Sollten Sie meine Schriften verfolgt haben, so werden Sie vielleicht als deren ausschließ-
lich leitenden Grundsatz den unbeirrbarer Objektivität erkannt haben. Diesen Grund-
satz müßte ich aber aufgeben, wenn ich, in einer meiner Kompetenz entzogenen Sache,
Partei nehmen würde. Übrigens hat mir dieser Grundsatz nicht die lebhaftesten Sym-
pathien gerade jener Faktoren eingetragen, auf die es hier ankommen würde.10
7 Brünner Tagesbote, 27. 1. 1931, S. 3 f.
8 Beispielsweise jene über die Stücke von Raoul Auernheimer (Neue Freie Presse, 13. 1. 1924, S. 1 ff.)
oder Paul Wertheimer (ebd., 12. 2. 1924, S. 1 ff.). Ähn liches gilt auch für von ihm rezensierte
Bücher, die im Zsolnay Verlag erschienen, bei dem Lothar selbst als Autor unter Vertrag stand.
9 Vgl. z. B. Brief von EL an unbekannte Adressatin. Wien, 15. November 1926. WBR, ZPH 1128,
H. I. N. 225877 sowie Wien, 24. November 1925. ÖNB, Sammlung Otto Frankfurter, 225/49-1; Brief
von EL an Hermen von Kleeborn. Wien, 1. Februar 1927. Dst, N1. 22/2.1.4, Nachlass Hermen
von Kleeborn.
10 Brief von EL an Rudolf Holzer. Wien, 11. Juni 1925. WBR, H. I. N. 176277.
1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor
sind«54
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Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478