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in Sprache und Vorliebe für gründ liche Betrachtung, Ausdeutung aller Situa-
tionen.« 86 Wobei Thomas Mann durchaus ein äußerst günstiges Urteil über den
Roman fällte, das auf den Schutzumschlag der Originalausgabe gedruckt bzw.
in dem Katalog des Paul Zsolnay Verlags 1929 veröffent licht wurde: »Dieser
Roman ist eine bewundernswerte Leistung, prachtvoll erzählt, spannend, lustig,
merkwürdig und reich. Ernst Lothar wird viel Ehre davon haben, oder die Welt
müßte ganz auf den Hund gekommen sein.« 87
Nicht nur Thomas Mann äußerte sich anerkennend, Jakob Wassermann bezeich-
nete Lothars Werk als einen »großen deutschen Zeitroman« 88. Wassermanns
Lob ist allerdings mit Vorsicht zu genießen: Nachdem ihn Schnitzler bei einem
Abendessen mit seiner »überall gedruckte[n] Verlagsreclame« für Ernst Lothars
Hellseher (»Ein großer Zeitroman, gleicherweise durch Fabel, Gestalt und Stilge-
bung ausgezeichnet«) aufgezogen hatte, behauptete Wassermann, das Buch gar
nicht gelesen zu haben: Lothar, von Ehrgeiz verzehrt,89 habe ihn um die Werbung
ersucht und diese auch schon selbst aufgesetzt. Er wäre nie dazu bereit gewesen,
seinen Namen darunterzusetzen, »wenn er nicht seinerseits Lothar für allerlei
gedruckten Enthusiasmus sich verpfichtet fühlte! – Die Gegenseitigkeitskorrup-
tion wahrhaft kläg lich!« 90 Schnitzler selbst las den Hellseher »mit Mißvergnü-
gen«, kam zu dem Schluss, dass Lothar zwar »nicht unbegabt« sei, der Roman
aber »in seiner Läpperei, Verlogenheit, Schlamperei eines der unerträg lichsten
Bücher dieser Zeit« darstelle.
Die gedruckten Besprechungen fielen im Gegensatz zu den privaten Mei-
nungen allerdings wie gesagt vorwiegend positiv aus.
Viele Zeitgenossen dachten bei Lothars Hellseher automatisch an reale Vorbil-
der, wie Raphael Schermann oder Erik Jan Hanussen.91 Der Krakauer Graphologe
Schermann hatte bereits 1921 dem Geheimnis der Schrift auf den Grund gehen
86 Prager Tagblatt, 1. 2. 1929, S. 6.
87 Vgl. auch Blätter der Thomas Mann Gesellschaft, 18 – 22 (1981), S. 11.
88 Der Querschnitt, 9 (1929), S. 209. – Auch in der Rezension des Neuen Wiener Abendblatts ist
davon die Rede, dass Lothar einen »wirk lichen Zeitroman […] von hohem Rang« geschaffen
habe, das Neue Wiener Journal spricht von einem »verspäteten Infla
tionsroman« (Friedrich Lorenz:
Die Tragödie eines Halbgottes. Ernst Lothars neuer Roman »Der Hellseher«. In: Neues Wiener
Journal, 19. 2. 1929, S. 7 f., hier S. 7).
89 Vgl. Beatrix Müller- Kampel: Jakob Wassermann. Eine biographische Collage, S. 225.
90 Arthur Schnitzler: Tagebuch 1927 – 1930, S. 225 und S. 231.
91 Vgl. Deutsch- Österreichische Literaturgeschichte. Bd. 4, S. 1377. Auch Mel Gordon sieht
Hanussen als Vorbild für Lothars Sebastian Trux (Mel Gordon: Hanussen. Hitler’s Jewish
Clairvoyant, S. 157).
1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor
sind«68
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478