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Kraus hatte Hans Müller wiederholt angegriffen, und zwar nicht nur wegen
seiner Theaterstücke und Feuilletons, sondern vorwiegend wegen seiner mit
dem Kriegsarchiv zusammenhängenden Tätigkeit. Zwei Artikel in der Fackel
waren schließ lich ausschlaggebend dafür, dass Hans Müller 1917 gegen Kraus
einen Ehrenbeleidigungsprozess anstrengte, weil er sich durch sie dem öffent-
lichen Spott ausgesetzt sah. 1918 wurde das Verfahren eingestellt, da Müller die
Klage zurückzog.131 Kraus wandte ihm jedoch jahrelang »seine wenig angenehme
Aufmerksamkeit« zu und verewigte ihn in seinen Letzten Tagen der Menschheit,
in denen der deutschtümelnde Brünner Schriftsteller und Dramatiker mehr-
mals auftritt.132
Auch Lothar selbst kam in Kraus’ Zeitschrift nicht gut weg, so beklagte
sich dieser 1931, dass Lothar sich »überhaupt sehr bemerkbar« 133 mache. Doch
als Lothar ein Jahr darauf im Zusammenhang mit Ferdinand Bruckners Wie-
ner Timon- Uraufführung im Hamburger Fremdenblatt Kraus’ Bearbeitung des
Shakespeare’schen Stoffs hervorhob,134 schien er von dem Sich- bemerkbar-
Machen Lothars angetan:
Dem Kritiker der Neuen Freien Presse Ernst Lothar […] (zwang) schon »eine halbe
Unbemerktheit () […] die Feder in die Hand«. Und er hatte immerhin den Mut, einer
ähn lichen Empfindung im Hamburger Fremdenblatt Ausdruck zu geben […]. […]
Und er hat sogar den Mut, es mir mit dem Bedauern, daß es »verspätet und in der
minder sichtbaren Literatur-
Rubrik erschien«, zuzusenden […]. […] Das ist – abge-
sehen von dem Beweis persön
lichen Mutes, der eine Überzeugung, die die Neue Freie
Presse nicht annehmen würde, via Hamburg der Publizität der Fackel überläßt – kei-
neswegs unerheb lich durch den Vorsprung, den ein Mitarbeiter der Neuen Freien
Presse vor den Lesern der Fackel hat: im Gegensatz zu ihnen hat er den »Timon«
gelesen und verg lichen.135
S. 414). Außerdem bezieht Lothar hier erstmals Partei für seinen einige Jahre zuvor verstor-
benen Bruder Hans.
131 Vgl. Die Fackel, 521 (1920), S. 24 – 47.
132 Zum Beispiel im I. Akt, Szene 25, im III. Akt, Szene 9 sowie im V. Akt, Szene 52. Karl Kraus:
Die letzten Tage der Menschheit. Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog. Frankfurt
am Main: Suhrkamp 1986 (1320), S. 180 – 187, S. 341 – 345, S. 668 f.
133 Karl Kraus: Die Fackel, 847 (1931), S. 25.
134 EL: Gedanken über Bruckners »Timon«. Anläß lich der Uraufführung des Werkes im Burg-
theater. In: Hamburger Fremdenblatt, 6. 2. 1932.
135 Karl Kraus: Die Fackel, 868 (1932), S. 101 ff.
Gegenseitigkeitskorruption und »unerwünschtes Schrifttum« 77
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478