Seite - 156 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Bild der Seite - 156 -
Text der Seite - 156 -
Lothar litt sehr an Heimweh und spielte nach wie vor mit dem Gedanken an
eine Rückkehr nach Österreich. Felix Salten, mit dem er korrespondierte, ver-
suchte, ihn aufzurichten, indem er ihm versicherte, dass sein »großes Talent«
ihm »in Amerika die Wege bereiten« werde.95 Auch sei das Heimweh nur ein
Hindernis, »sich hier einzuleben und zu wirken«:
Kopfschüttelnd lese ich Ihre Äußerungen über Österreich. Sie sagen, daß Sie Ihr
Gefühl nicht drosseln können, sagen, daß Ihnen die Wiener Landschaft und die
anderen Landschaften in Österreich zum Atmen notwendig sind. Mit der Zeit wird
dieses Gefühl hoffent
lich schwinden. […] So lange [sic] Sie von der grotesken Unmög-
lichkeit eines Wiederaufbaus auch nur träumen, werden Sie in Amerika immer mit
halber Kraft ein halbes Gelingen erreichen. Ihre Kraft ist sehr groß, ist größer[,] als
Sie jetzt vielleicht in Ihrer Depression wissen. Wenn Sie sich erst wirk lich gefunden
haben, wird Ihnen der Erfolg nicht ausbleiben.96
Die 100 Dollar, die Hans seinem Bruder monat lich sandte,97 reichten nicht aus,
um den Lebensunterhalt von drei Personen auf Dauer zu bestreiten. Lothar, seine
Frau und seine Tochter hatten sich gemeinsam ein Zimmer in einer Wohnung
in der 88. Straße gemietet,98 Hansi wurde nun bei ihrer Großmutter Lisa Sachs
des Renaudes untergebracht, die seit Jahrzehnten in einer besseren Gegend
New Yorks wohnte. Hansi heiratete am 15. Oktober 1940 Ernst Häussermann,99
der sich in Amerika Haeusserman nannte (»Wie es ihm glückte, aus Wien in
Niederdonau, wo das Hakenkreuz […] wehte, in die Freiheit zu entkommen,
verriet er nicht.« 100). Die frisch Vermählten gingen bald nach Hollywood, wo
95 Brief von Felix Salten an EL. Zürich, 4. November 1939. WBR, ZPH 922a.
96 Brief von Felix Salten an EL. Zürich, 30. Dezember 1939. a. a. O.
97 Ab März 1939 bis zumindest April 1941. Vgl. Briefe von Hans Müller an EL. Mie, 20. März
1939 und Einigen, 4. April 1941. a. a. O.
98 Von Mai 1939 bis September 1940 wohnten Lothar und seine Frau in der 19 East 88th Street,
von Oktober 1940 bis September 1941 in 54 East 79th Street, New York. Vgl. Liste der Wohn-
sitze 1937 bis 1947. a. a. O.
99 Vgl. Brief von Johanna Müller an Hans Müller- Einigen. o. O. [New York], 15. Oktober 1940.
ÖTM, ZA Hans Müller-
Einigen, E 220. Vgl. auch Aufbau, 18. 10. 1940, S. 10. – Ernst (Heinz)
Haeusserman (1916 – 1984), der Sohn des Burgschauspielers Reinhold Häussermann, war selbst
am Burgtheater engagiert. Im Sommer 1939 reiste er in die USA ein. Hier spielte er in ver-
schiedenen Filmen mit, hatte darin aber meist so kleine Rollen, dass sein Name in den Beset-
zungslisten nicht erwähnt wurde. Als Assistent Max Reinhardts lernte er das Regiehandwerk,
war später Filmproduzent, Regisseur, Schriftsteller und Theaterdirektor.
100 EL: Das Wunder des Überlebens, S. 164. 1938 – 1946:
Exil156
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478