Seite - 228 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Bild der Seite - 228 -
Text der Seite - 228 -
war es, das mir, fern vom Schuß, diesen Krieg begehrenswert und nun […] so verhei-
ßungsvoll gemacht hatte! Meine Rettung war er, die Befreiung aus der Heimatlosig-
keit […]. […] [I]ch, der Pazifist, wünschte und billigte den Krieg.467
Lothars in Europa gebliebene Brüder Hans und Robert teilten seine Eupho-
rie nicht. In den Briefen der beiden wird immer wieder thematisiert, dass
Lothar sich keine Vorstellung von den Bedingungen mache, unter denen sie
lebten. Robert, der in Wien geblieben war, schreibt Lothar im März 1939, dass
er, nachdem er als Anwalt nicht mehr habe arbeiten können, nun sein Geld
(täg lich drei RM) mit dem Abschreiben von Adressen verdiene,468 waren doch
am 20. Mai 1938 die »Nürnberger Rassengesetze« auch in Österreich einge-
führt worden, wodurch alle Juden ihre Approba tion zur Berufsausübung an
Arier verloren. Die Frist für die Arisierung des Rechtsanwaltsberufs war mit
31. Dezember 1938 festgesetzt worden,469 wurde aber mehrmals verlängert. Gab
es am 1. Januar 1938 in Wien noch über 2500 Rechtsanwälte, waren es genau
ein Jahr später nur mehr 767.470 Mitte Dezember 1939 meldet sich Robert ein
letztes Mal bei Lothar:
Wenn Du meine Lage mit der Euren vergleichst, so hast Du von dem Leben, das
ich seit Monaten führe, nicht die richtige Vorstellung. Vor allem nicht von der
Atmosphäre, in der unsereins hier vegetiert. Auch ich im besonderen. Ohne Mög-
lichkeit, etwas zu verdienen (am 31. d. [M.] bin ich aus der Anwaltsliste definitiv
gestrichen)[,] von den Gläubigern als »fuchtverdächtiger Jud« verfolgt und gepei-
nigt, von […] allen arischen Freunden losgelöst, von den ausgewanderten jüdischen
Bekannten verlassen, also […] mit sich mutterseelenallein, das kann man überhaupt
nicht mehr leben nennen. Und doch bin ich ein zweites Mal zu feige, frei lich nur
aus Angst vor dem neuer lichen Mißlingen. Sonst wäre ich selig, draußen bei unse-
ren guten seligen Eltern zu liegen, die ich jede Woche 2 oder 3 mal besuche. Es
sind meine schönsten Stunden. Dort gibt es, wenn man von der ausgebrannten
Aufbewahrungshalle absieht, noch Ruhe und Frieden. Man fühlt sich als Mensch
und das bedeutet schon viel.471
467 Ebd., S. 213.
468 Brief von Robert Müller an EL. Wien, 20. März 1939. WBR, ZPH 922a.
469 Vgl. Alexander Mejstrik: Berufsschädigungen in der na tionalsozialistischen Neuordnung der
Arbeit, S. 166.
470 Vgl. ebd., S. 197.
471 Brief von Robert Müller an EL. Wien, 17. Dezember 1939. WBR, ZPH 922a.
1938 – 1946:
Exil228
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478