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Einen Versuch, den Menschen Lothar psycholo gisch zu charakterisieren,
unternahm die Arbeiter- Zeitung in ihrem »aktuellen Porträt«:
Am 25. Oktober wird ein guter Österreicher […] siebzig Jahre alt: Ernst Lothar.
Er hat viele Berufe gehabt und er war zu allen berufen […]. Ein vielseitiges und
reiches Leben, aber umschattet von Tragik, von viel menschlichem Ungemach. In
seiner Jugend stand er im Schatten seines […] Bruders, des erfolgreichen Autors
Hans Müller. Zwei […] Töchter starben in blühender Jugend dahin […]. Diese
Unglücksfälle haben Lothars Charakter geformt. Sein persön liches Mißgeschick
hat ihn zu einem verschlossenen, scheuen, die Einsamkeit suchenden Menschen
gemacht. […] Das verstärkt die Herbheit seines Wesens. Von Natur aus ein wei-
cher, feinfühliger Mensch[,] verkrustet sich sein wundes Herz mit einer Schale,
die Rauheit vortäuscht, wo in Wahrheit sich nur das Leiden verschämt verschließt.
So kommt es, daß ihn nur wenige in seiner wirk lichen Bedeutung erkennen. Er
wird hochgeachtet, aber nicht geliebt; er hat viele Gegner und Neider, die seinen
scheinbaren Hochmut nützen, um ihm zu schaden und weh zu tun. Der Boule-
vardjournalismus, den Lothars feiner Geschmack tief verachtet, rächt sich an der
Vornehmheit mit Bosheit und Schimpf.
Und doch hat dieser Mann für die kulturelle Geltung seines Landes mehr getan
als ein ganzes Schock […] Modeliteraten.62
Am 30. Oktober fand im Akademietheater eine Morgenfeier zu Lothars 70. Geburts-
tag statt; die Rede Haeussermans sei, so Lothar, »unzweifelhaft […] ein Torberg-
ghost writing-
Produkt« 63. Auch Friedrich Schreyvogl hielt eine Laudatio auf Lothar,
in der er ihn »als Dichter, als Theatermann, als Österreicher« würdigte:
Er begriff von jeher die österreichische Na tionalität nicht nur als eine Feststellung
im Paß, [sondern] auch als eine Forderung an den Charakter. Er unterschied sich
dabei von jener allgemeinen Auffassung, daß das Kompromiß zum Österreicher
dazugehört und daß man sich hier alle Grundsätze dadurch leichter macht, daß
man sie nur halb erfüllt. Lothar hat als Kämpfer für die Wahrheit in Leben und
Dichtung nie das geringste von seinen ethischen Grundsätzen preisgegeben, ein
leidenschaft licher Ankläger, wo er Unrecht fand. Und doch zugleich Verteidiger
des Menschen, dem immer wieder beim großen Spiel der Mächtigen sein kleines
Glück zerfällt. Das sind, von außen gesehen, Gegensätze und in der Tat kennt auch
62 Arbeiter- Zeitung, 22. 10. 1960, S. 6.
63 Brief von EL an AG. Wien, 2. November 1960. WBR, ZPH 922a.
Ehrungsreigen 345
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478