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Lothar, der sich im Exil trotz seiner Taufe als (emigrierter) Jude betrachtet
hatte – ein Bewusstsein, das sich nach seiner Rückkehr nach Österreich noch
verstärkte –, führte die fehlende Anerkennung seiner Leistungen und etwa auch
das Scheitern seiner Burgtheaterdirek
tion auf die »immer im richtigen Augen-
blick« funk tionierende »österreichische Versenkungsanlage« zurück:
Ernst Lothar hat in diesem Zusammenhang oft die Geschichte des berühmten Arztes
Halban erzählt, der einmal gefragt wurde, wieso er nicht Ordinarius geworden sei.
Halban antwortete: »Mit 40 war ich zu jung, mit 60 war ich zu alt, und mit 50 – Jude.« 19
Lothar hatte als amerikanischer Kulturoffizier, als der er 1946 nach Österreich
zurückkehrte, eine große Befugnisgewalt (Entscheidung, welches Wiener Theater
welche Stücke bekam, teilweise Bestimmung der Hauptdarsteller, Eingriffsmög-
lichkeiten in die Inszenierungen, Mitsprache bei der Programmgestaltung der
Salzburger Festspiele, Entnazifizierung und damit Einfuss auf das weitere
beruf
iche Dasein der belasteten Künstlerinnen und Künstler). Er galt als »graue
Eminenz des österreichischen Kulturlebens« und wurde von manchen Kul-
turschaffenden wohl als »Allgewaltiger in Wien« 20 empfunden, was ihm eine
Reihe von Gegnern und Neidern sicherte und ihn schließ
lich ȟber eine an sich
unbedeutende Intrige« 21 stolpern ließ. Lothars Einfussmög lichkeiten waren aber
auch nach Beendigung seines Dienstes für die US-Behörde »angesichts seiner
Verbindungen und seiner beacht lichen Fähigkeiten als Kritiker, Schriftsteller
und Organisator durchaus nicht unbedeutend« 22.
Seine Theaterarbeiten entsprachen durch ihr prononciertes Österreichbe-
wusstsein in einem gewissen Maße dem kulturellen Selbstverständnis des aus-
trofaschistischen Ständestaats und auch dem der jungen Zweiten Republik.
Dadurch, dass seine Inszenierungen sozusagen auf ein »Revival« der österrei-
chischen Identität abzielten (Salzburger Festspiele, Aufführungen der österrei-
chischen Klassiker), war er einerseits als »Rückkehrer« im Nachkriegsösterreich
willkommen. Andererseits war sein Status als Remigrant (in US-Diensten)
gleichzeitig wohl auch für die Verhinderung einer Burgtheaterdirek tion Ernst
Lothar in den 1950er Jahren verantwort lich, ebenso wurde er daran gehindert,
19 Ernst Haeusserman: Das Wiener Burgtheater, S. 147.
20 Austria, 25. 5. 1947.
21 Oliver Rathkolb: Ernst Lothar, S. 292.
22 Stephen Gallup: Die Geschichte der Salzburger Festspiele, S. 196 f.
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Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478