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österreichischer Schriftsteller«?41 Woran liegt es, dass er, der mit Schnitzler
(Bekenntnis eines Herzsklaven; Drei Tage und eine Nacht; Kleine Freundin; Die
Zeugin), Strindberg (Eine Frau wie viele), Marie von Ebner-
Eschenbach und
Ludwig Anzengruber (Verwandlung durch Liebe) verg lichen wurde, fast völlig
in Vergessenheit geraten ist?
Drei Gründe mögen hierbei eine Rolle spielen. Erstens wurden durch die
»konservative Prägung des literarischen Lebens zwischen 1945 und 1960« 42 die
nach der Machtergreifung Hitlers emigrierten Schriftsteller und ihre Werke mit
wenigen Ausnahmen und nur bedingt zur Kenntnis genommen. 1945 musste sich
Österreich neu posi
tionieren, wobei es »einen politisch gut kalkulierten Rückhalt
in dem Selbstbild« fand, »erstes Opfer der Hitlerschen Aggression gewesen zu
sein und nicht ein Volk von Tätern und Zuschauern«:
Bei diesen Entlastungsvorgängen wurde den Opfern die schuldhafte Rolle derer zuge-
wiesen, »Die uns verließen«, wie der Titel eines Ausstellungskatalogs aus dem Jahr
1980 lautete. Ihre »Unerbetene Erinnerung« (Raul Hilberg) störte den kollektiven
Gedächtnisschwund des offiziellen Österreich über seine jüngste Vergangenheit.43
Generell gelang es nur wenigen, die im Dienste der Alliierten nach Österreich
zurückkamen, sich einen Ort im Nachkriegsliteraturbetrieb zu schaffen.44 Gleich-
zeitig wirkten beispielsweise jene österreichischen Emigranten, die in amerika-
nischen Uniformen nach Österreich zurückkehrten, »auf manche als Bestätigung
der Goebbelsschen Propaganda vom ›vaterlandslosen Gesellen‹ und ›Landesver-
räter‹« 45. In der österreichischen Öffent
lichkeit bestand offenbar das Bild, »die
im Land Verbliebenen hätten für ihre Heimat gelitten und sich so ihre Rechte
verdient, während sich die Emigranten ins Ausland abgesetzt hätten und vor der
Not gefüchtet wären« 46. Die Vertreibung war somit »eine vollständige, sie betraf
nicht nur die Person des Dichters, sondern bedeutete auch in der überwiegenden
Zahl der Fälle das Verschwinden des Werkes aus dem Lesekanon« 47.
41 Sylvia M. Patsch: Österreichische Schriftsteller im Exil, S. 298; Susanne Maurer: Ernst Lothar, S. 1.
42 Joseph McVeigh: Kontinuität und Vergangenheitsbewältigung, S. 84.
43 Volker Kaukoreit und Kristina Pfoser (Hg.): Die österreichische Literatur seit 1945, S. 26.
44 Ebd.
45 Peter Eppel: Bemerkungen zur Frage der Rückkehr österreichischer Emigranten aus den USA,
S. 135.
46 Gerhard Graml: Kulturtransfer zwischen Österreich und den USA, S. 49.
47 Ebd., S. 51. – »Von den exilierten Autoren ist in den einschlägigen Literaturzeitschriften zwischen
1945 und 1955 kaum die Rede, Stefan Zweig wurde beispielsweise 26 Mal, Felix Braun 16 und
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Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478