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Joseph Lanner – Leben und Werk
tensolo war durch die Bratsche zu substituieren, ein markanter Bläserakkord musste zwangsweise ersetzt
werden etc135
Wie sich Formationen bildeten, ist weitgehend unerforscht. Man spielte zusammen (Lanner und StrauĂź
möglicherweise bei Pamer), man ergatterte ein Engagement, für welches man befreundete Mitspieler an-
warb. Der Veranstalter fragte nicht nach Details, solange die Tanzmusik garantiert war.
Fixpunkte ergeben sich aus den ersten Stimmenabschriften, die fĂĽr Lanner vorliegen: drei Geigen und
Bass bildeten das Gerüst, Bläser ergänzten die Formation. Zwei Klarinetten, zu denen bald eine Flöte
(häufig mit Wechsel aufs pikante Piccolo) hinzutraten, zwei Hörner, die zugleich Trompete spielen muss-
ten, bald eine weiterer Trompete, eine Pauke, die auch eine groĂźe Trommel bediente, versammelten sich
um den Ensembleleiter Lanner, der stets die Primgeige spielte.
Für die Besonderheiten der Orchesterbehandlung sei auf das Kapitel „Instrumentation“ verwiesen. Lan-
ner schrieb für eine solistische Formation, Ergänzungsstimmen für Streicher tauchen zwar fallweise auf,
doch kann davon ausgegangen werden, dass die einzelnen Streicherpartien im Prinzip solistisch besetzt
waren. Zeitgenössische Abbildungen sind keine große Hilfe, sie bilden das Orchester mehr oder weniger
stilisiert ab, die realen Ensemblegrößen lassen sich daraus nicht ableiten.
Eigentümlichkeiten dieser Stimmenabschriften sollen zumindest am Rand erwähnt werden, wenn etwa
Bass- und Paukenstimme auf dem gleichen Blatt notiert wurden, so musste zumindest ein räumlicher
Zusammenhang bei der Aufstellung geherrscht haben. Aus einem Notenblatt können normalerweise bis
zu zwei Musiker spielen, ob Dubletten frĂĽhzeitig verloren gegangen sind, kann nicht mehr nachgewiesen
werden.
Zieht man die Größe der Säle, vor allem aber die Anzahl der Besucher mit in Betracht, so verwundern die
geringen Musikerzahlen bisweilen. Der Apollosaal rĂĽhmte sich mit fallweise bis zu 3000 Besuchern auf
der Tanzfläche. Kalkuliert man die Geräuschkulisse mit ein (dass in absolutem Schweigen getanzt wurde,
lässt sich getrost ausschließen), so war bereits ein repräsentatives Orchester vonnöten, um den Lärm zu
übertönen und eine gediegene Ballmusik zu garantieren. Bei Freiluftveranstaltungen (bei Kirtagen konn-
ten leicht mehrere zehntausend Besucher die Gartenanlagen bevölkern) ergab sich die Notwendigkeit
einer ordentlich besetzten Kapelle umso mehr136.
Lanner musste eine außergewöhnliche Persönlichkeit nicht nur als Geigenspieler und Komponist, son-
dern vor allem alles Orchesterleiter und -erzieher gewesen sein. Tourneen mit einem ganzen Ensemble
waren bis dahin nahezu unbekannt. Dass Johann StrauĂź Vater und Lanner mit ihren eigenen Ensembles
quer durch Europa reisen und umjubelte Konzerte geben konnten, war ihrer unermĂĽdlichen Arbeit zu
verdanken, die ihre Orchester zu den besten Kapellen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte.
Schier unüberblickbar ist die Zahl der Zeitungsartikel, welche die Qualität der beiden Orchester rühmte
(man muss die Fluktuation mit in Betracht ziehen: StrauĂź und mit Abstrichen Lanner hatten mehrere
Formationen an der Hand, die wechselweise Reisen bestritten oder in der Heimatstadt verblieben). Gro-
tesk ist das Missverhältnis zwischen den Aufführungen klassischer Musik und der so genannten Unter-
haltungsmusik, wie sie Lanner und StrauĂź boten: Beethoven musste sich mit mĂĽhsam ad hoc zusammen-
gestellten Orchestern begnügen, die mit seinen komplizierten Werken weit überfordert waren, während
Lanner geduldig sein Repertoire einstudierte und so seine Musiker auf einsame Höhen brachte, die seinen
Kompositionskollegen weitgehend verschlossen waren.
135 Details der Orchesterentwicklung lassen sich anhand des Werkverzeichnisses nachvollziehen, einen Ăśberblick bietet Nor-
bert Rubey, „Mit Gott - für ein ganzes Orchester componirt“ in: Lanner-Katalog, S. 77ff.
136 Die Namen einzelner Musiker, welche in einer der Lannerschen Formationen mitgewirkt hatten, nennt der Lanner-Katalog
S. 178ff. Die meisten dortigen Angaben stützen sich auf „Illustrirtes Wiener Extrablatt“, div. Ausgaben von 1882ff.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Joseph Lanner
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Abmessungen
- 21.0 x 29.5 cm
- Seiten
- 752
- Schlagwörter
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang