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Joseph Lanner – Leben und Werk
Lanner zuvor sich in einer anderen Tonart befunden hätte. Nimmt man die Wiederholung wie gedruckt,
entstehen zweimal zehn Takte jeweils mit den beiden Eingangsakkorden – ob Lanner dieses Abweichen
vom Schema so gewollt hatte oder ob ein Ăśbertragungsfehler vorliegt, muss offen bleiben.
„Aufforderung zum Tanz“ op. 7, angeblich am 19. 10. 1826 bei einem Gesellschaftsball im Gasthaus „Zum
schwarzen Bock“ uraufgeführt, lohnt aus mehrfacher Hinsicht eine nähere Betrachtung: Lanner über-
nimmt nicht nur den Titel von Webers bekanntem Rondo brillant op. 65, sondern zwei Themen (Walzer
Nr. 1 und Trio), die er mit seinen eigenen Erfindungen konfrontiert. Das unsignierte Stimmenmaterial
enthält eine von Johann Strauß Vater eigenhändig erstellte Bratschenstimme (sie dient als Beleg für seine
Mitwirkung in Lanners Kapelle), das Orchester umfasst Flöte, welche auf Piccolo wechselt, zwei Klarinet-
ten, zwei Hörner, die auf Trompete wechseln, eine weitere Trompete, neben Pauke eine kleine und eine
groĂźe Trommel, drei Geigen und Bass.
Die Stimmenabschrift, der Vergleich mit Weber, vor allem aber mit der späteren Klavierfassung geben
mehr Rätsel auf als Antworten: die Violastimme von Strauß bricht vor der Coda ab, wurde diese Coda
beim Tanz nicht gespielt, musste StrauĂź daher keine Fassung schreiben? DĂĽrfen wir die Stimmenabschrift
als frĂĽhen Beleg von Mehrfachfunktion nehmen: etwa einer einfachen Tanzversion und einer anspruchs-
volleren Konzertversion – wobei letztere bei Tänzen ebenso zu ihrem Recht kommen konnte? Wie viel
steckt von Lanner in dem stellenweise genialisch auftrumpfenden GesellenstĂĽck? Hat er die Abweichun-
gen der Klavierfassung – vor allem in der Coda – persönlich angeregt oder zumindest zustimmend zur
Kenntnis genommen? Unbestreitbar ist, dass Lanners hervorstechendste Eigenschaften durchschimmern:
kluge Disposition der Gesamtanlage, hinreichende Abwechslung in der Themenerfindung, nicht unge-
schickter Einsatz der ihm zur VerfĂĽgung stehenden Instrumente.
Ähnliche Befunde könnte man wahrscheinlich für alle Frühwerke Lanners aufstellen. „Terpsichore-Wal-
zer“ op. 12 komponiert eine dramatische Einleitung, die vom Untertitel „Im Reiche des Bluto [sic!]“ in-
spiriert ist (siehe das entsprechende Kapitel), in der Melodiegestaltung lässt sich rein aus dem Notenbild
kein Unterschied zwischen Ländler- und Walzerabschnitten feststellen.
Op. 19, „Trennungs-Walzer“ erfuhr mannigfaltige Interpretationen. Angeblich als Anspielung auf die er-
folgte Trennung zwischen Lanner und StrauĂź konzipiert, legen die Untertitel ganz andere Assoziationen
nahe: es ist ein auskomponiertes Stimmungsbild (ähnlich wie Beethovens Klaviersonate „Les Adieux“, de-
ren erste drei Noten mit „Lebewohl“ überschrieben sind). Der Walzer beginnt lyrisch in a-Moll, diese Nr.
1 ist überschrieben mit dem Titel „Trennung“. Der Walzer Nr. 4 beginnt mit einem „Schluckauf-Motiv“,
Walzer Nr. 6 ist überschrieben mit dem Titel „Vorbereitung zur Reise“ mit einem Posthornmotiv. Die
Coda heißt erneut „Trennung“, das „Schluckauf-Motiv“ wird aufgenommen, es führt zu einem dramati-
schen Höhepunkt, ehe die Coda lyrisch endet.
Eines der reizvollsten Frühwerke – und einer Analyse zugänglich, da ein Autograph Lanners vorliegt –
ist der „Blumen-Fest-Ländler“ op. 23. In unmittelbarer Nachbarschaft zum „Zweiten Beliebten Wiener
Quodlibet“ op. 22 zeigt er, auf welch hohem Niveau Lanner schon in frühen Jahren komponierte.
Mit „Katharinen-Tänze“ op. 26 (eine autographe Partitur hat sich erhalten) und „Jubel-Fest-Tänze“ op.
29 beginnt die lange Reihe von Werken, die in ihrer Titelbezeichnung ambivalent bleiben und nur ver-
steckt Hinweise geben, ob Ländler oder Walzer oder beides gemeint ist. Op. 26 wird in einer unsignierten
Stimmenabschrift als Ländler bezeichnet, op. 29 trägt über der ersten Nummer den Kopftitel „Walzer“.
Letzterer ist ein schönes Beispiel, wie Lanner zeitweise vom achtaktigen Schema abgeht und einen sech-
zehntaktigen Abschnitt konzipiert, auf den ein ausgedehntes Trio folgt.
Im „Zauberhorn-Ländler“ op. 31 lässt Lanner uns tief in die romantische Stimmung eintauchen: Die In-
troduktion zitiert den Hornruf aus Webers „Oberon-Ouvertüre“ (mit der Unterbezeichnung „Belebung
der Instrumente“), an das Ende stellt Lanner eine kurze Vivace-Überleitung (nur 4 Takte), wie „Rufe“,
welche zum ersten Ländler überleiten. Die einzelnen Nummern tragen Titel, interessant ist, dass sowohl
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Joseph Lanner
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Abmessungen
- 21.0 x 29.5 cm
- Seiten
- 752
- Schlagwörter
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang