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Werke
der Hand weisen, dass so einige im Publikum diese konzentrierte Darbietung einer vollständigen vier-
stündigen Aufführung im Opernhaus vorziehen. „Ich habe am Abende vor diesem Ballfeste in der „Be-
stürmung Corinths“ geschwelgt, und am heutigen Abend die ganze Oper in den ¾-Tact Lanners übersetzt
gefunden.“189 Opernkomponisten waren von jeher konfrontiert mit der ungehemmten Plünderung ihrer
Werke zur billigen Volksbelustigung. Mozart trug es mit Humor, nahm es als Zeichen seiner Popularität,
wie sein berühmter Brief über die Figaromelodien, die ihm – „verwandelt in Contratänze und Teutsche“
– bei allen Tanzvergnügungen in Prag entgegen schallten, beweist190. Er konnte nicht ahnen, dass etwas
über fünfzig Jahre später Lanner seine „Mozartisten“ auf die gleiche Art und Weise bauen würde: „Wal-
zer nach Mozart’schen Melodien, aber nicht zum Tanze“, schreibt Lanner als Untertitel. Verdi hingegen
floh vor den Leierkastenmännern, welche sofort Melodien seiner populärsten Opern anstimmten, wenn
sie seiner ansichtig wurden. Richard Strauss nahm das Heft selbst in die Hand, in finanziellen Belangen
durchaus auf seinen Vorteil bedacht, stellte er „Walzerfolgen“ und „Suiten“ zusammen, die bis heute
gleichberechtigt neben seinen großen Tondichtungen in den Konzertsälen erklingen. Der amerikanische
Dirigent Lorin Maazel fĂĽhrte konsequent zu Ende, was die Verfasser von Opernpotpourris seit mehr als
zweihundert Jahren produzieren: sein „Ring ohne Worte“ verdichtet in einer guten Stunde die musikali-
schen Höhepunkte der Tetralogie und beweist damit, was misslaunige Kritiker des Wagnerschen Musik-
dramas diesem schon immer vorwarfen: dass es musikalisch vom Orchester getragen wird und auch
konzertant, ohne BĂĽhnenbild und Gesangsensemble, seine magische Wirkung auszuĂĽben imstande ist.
Während Komponisten von Potpourris zumindest in Ansätzen um eine formal wie ästhetisch einheitliche
Gestaltung bemĂĽht sind, indem sie sich auf eines oder nur einige wenige Werke zumeist des gleichen
Komponisten konzentrieren, fallen beim Quodlibet alle Schranken. Volkslieder stehen neben Eigen-
zitaten aus gerade erst veröffentlichten Werken, Lieder aus erfolgreichen Bühnenstücken werden ebenso
verarbeitet wie populäre Opernmelodien.
Quodlibets ziehen sich durch das gesamte Leben Lanners. Noch 1842, wenige Monate vor seinem Tod,
schrieb Lanner mit „Minuten-Spiele. Großes Potpourri“ sein letztes �uvre in dieser Form (es war zu-
gleich das letzte Werk, welches mit einer Opuszahl – 208 – verlegt wurde). In den davor liegenden vier-
zehn Jahren entstanden Werke wie „Capricciosa“, „Melorama“, „Musikalische Revue“ und viele andere
mehr.
Seinen Platz fand das Quodlibet in jenen „Soirées“, „Reunions“ und „Abendunterhaltungen“, welche
Lanner regelmäßig abhielt. Besonders in den Volksgartenkonzerten im „Paradiesgärtchen“ waren diese
Konzerte gut besucht. Den Ablauf schildert etwa die Theaterzeitung am 29. 12. 1832: „… Er [Lanner,
Anm. d. V.] zaubert seine Zuhörer mit seinem kunstfertigen Bogen durch kräftige Kriegsmärsche aufs
Schlachtfeld, von da führt er sie durch eine Reihe schöner Ländler, bleibt dann plötzlich mit einem
Quodlibet vor einer bombardirten musikalischen Festung stehen, und lässt alle Schrecken des Kanonen-
donners los, und dieses bunte Spiel wird durch eine Menge lautschallender Bravos unterbrochen.“191 Das
Quodlibet bildet den Höhepunkt und Abschluss, die Kaiserhymne, oft von einem großen Trompeten-
ensemble vorgetragen, darf nicht fehlen, die letzten Takte gehen in ein Feuerwerk ĂĽber.
1828 schrieb Lanner seine ersten drei Quodlibets („Erstes beliebtes Wiener Quodlibet“, „Zweites beliebtes
Wiener Quodlibet“, „Drittes beliebtes Wiener Quodlibet“), sie wurden vom Verleger Tobias Haslinger
unter den Opusnummern 16, 22 und 27 herausgegeben. Neben der Klavierausgabe lieĂź Haslinger auch
eine Bearbeitung für Streichquartett192 drucken, was ein deutlicher Hinweis auf die Popularität dieser
189 Theaterzeitung 30. 1. 1837.
190 Brief Mozarts an Gottfried von Jacquin, Prag, 14. 1. 1787, zitiert nach „Gesamtausgabe der Briefe und Aufzeichnungen der
Familie Mozart“, hrsg. Erich H. Müller von Asow, Berlin 1942, Bd. 3, S. 418.
191 Theaterzeitung, 29. 12. 1832.
192 Die Fassungen fĂĽr Streichquartett sind fĂĽr das erste und zweite der genannten Quodlibets nachweisbar (siehe Werkver-
zeichnis), nicht aber fĂĽr das dritte. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass es eine solche Bearbeitung gab, allerdings
findet sich eine solche nicht im Verlagsverzeichnis Haslinger (hrsg. A. Weinmann). (Anm. d. V)
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Joseph Lanner
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Abmessungen
- 21.0 x 29.5 cm
- Seiten
- 752
- Schlagwörter
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang