Seite - 76 - in Joseph Lanner - Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
Bild der Seite - 76 -
Text der Seite - 76 -
76
Joseph Lanner – Leben und Werk
c. In den meisten Lannerbiographien wird der Eintritt von Johann StrauĂź Vater als Bratschist in die Lan-
nersche Kapelle prominent vermerkt, allerdings mit sehr unterschiedlichen Datierungen220. Folgt man
der Biographie von Krenn, dann wäre Strauß Vater „etwa im Frühjahr 1823 in die erste Formation
Lanners als Violaspieler eingetreten“221. Blickt man hingegen auf die erhaltenen Stimmenabschriften
und autographen Partituren, so ergibt sich ein diffiziles Bild: in den ersten mit Opuszahlen versehenen
Werken, die durchwegs von 1825 und 1826 datieren, hält Lanner an der Besetzung drei Violinen und
Bass fest. Die frĂĽhesten erhaltenen Autographe von Werken ohne Opuszahl, etwa die Bearbeitungen
von Rossinis „Barbier von Sevilla“ oder die zahlreichen „Contredanse“- und „Francaise“-Bearbeitungen
sind nicht datiert, fĂĽr Rossini kann man eine Datierung Herbst 1819 annehmen (Rossinis Oper wurde
am 28. September 1819222 erstmals in Wien aufgefĂĽhrt, die deutschsprachige ErstauffĂĽhrung erfolgte
ein Jahr später). Die genannten Werke sind aber von vornherein für eine kleine solistische Formation
geschrieben (fĂĽr die jeweilige Besetzung siehe Werkverzeichnis), z. Tl. mit Gitarre, manche fĂĽr drei (!)
Violinen und Viola. Wäre Strauss Vater ausschließlich als Bratschist bei Lanner tätig gewesen, warum
hätte dieser an der Besetzung drei Violinen – Bass ohne Bratsche noch 1826 festhalten sollen, wo doch
die übliche Besetzung mit zwei Violinen – Bratsche disponibel gewesen wäre, die darüber hinaus den
gro
Ăźen Vorteil einer Bereicherung der Begleitakkorde durch Zugewinn einer Quintregion nach unten
gebracht hätte? Richtiger dürfte demnach Linkes Schluss sein, wonach Strauß Vater in Lanners Kapelle
als Geiger und Bratscher tätig war223 (siehe auch die Anmerkungen zu „Aufforderung zum Tanz“ op. 7, für
welche eine authentische Bratschenstimme von Strauß Vater erhalten ist, sowie zu „Kirchweih-Ländler“
op. 13; ad „Aufforderung“: Viola ersetzte stellenweise Bläser an solistischer Stelle siehe Klarinettensolo). Erst
ab op.Â
48, 1830 geschrieben, setzt sich die reguläre Streicherbesetzung mit Violine 1, Violine 2, Viola und
Bass durch. Ein abschlieĂźendes Urteil zu dieser Frage scheitert auch an der nichteindeutigen Zuweisung
der frĂĽhesten erhaltenen Stimmenabschriften: Ob das von Flatscher signierte und datierte Orchesterma-
terial tatsächlich das Originalmaterial der Lannerkapelle ist, kann zwar vermutet, aber nicht bewiesen
werden (siehe das entsprechende Kapitel), damit wäre auch denkbar, dass Strauss sich seine eigenen
Violastimmen eingerichtet hatte, die er nach seinem Wechsel zu seiner eigenen Kapelle einfach mitnahm
und die – mit Ausnahme der oben beschriebenen Stimmen – als verschollen zu gelten haben.
d. Noch viel später schreibt Lanner eigene Violoncellostimmen. In der Klassik sind separate Cello-
partien noch selten, in der Regel spielen Cello und Bass im Oktavabstand die gleichen Noten, da-
her erfolgt eine Notierung in nur einem System oder mit der Anmerkung „coll’ Basso“ (gleiches
gilt für das Fagott, das in der Nachfolge der Generalbasspraxis erst spät zur Eigenständigkeit fin-
det, sieht man von solistischen meist humorvollen Passagen bei Haydn oder ersten lyrischen Me-
lodieteilen bei Mozart ab). Selbst als das Violoncello seinen festen Platz in der Lannerschen Ka-
pelle gefunden hatte, war es über weite Strecken eine reine Bassverstärkung mit gelegentlichen
Emanzipierungen. Der Grund, warum Lanner ursprĂĽnglich kein Violoncello verwendete, dĂĽrfte
ein banaler sein: als einziges der Lannerschen Instrumente kann man es nicht im Stehen spielen,
was für die ersten Engagements – oft auf beengtem Raum, mit raschem Ortswechsel, um mehre-
re Tanzveranstaltungen an einem Abend bewältigen zu können – hinderlich gewesen sein dürf-
te (auch die Pauke musste sich ihren Platz erst erobern, obwohl die anfangs verwendeten kleinen
Kesselpauken sicher mobil genug waren, um rasch auf- und wieder abgebaut werden zu können).
5. Nebeninstrumente: in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden viele Instrumente entwickelt,
welche sich nur zum Teil durchsetzen konnten. Das bekannteste Beispiel ist die Harfe, deren moderne
Form um 1810 in Paris erfunden wurde und von Johann StrauĂź Vater ab etwa 1839 in seinem Orchester
verwendet wurde. „Mayerbeers [sic] Finale mit dem wunderschönen Harfen-Solo (welches Instrument
beiläufig gesagt, aus einer der ersten Pariser-Fabriken, einen wunderschönen Klang besitzt, und von so
220 Siehe das Kapitel „Johann Strauß Vater“ in Krenn, Lenz-Blüthen, Wien 1994.
221 Krenn, S. 33.
222 Linke hingegen nennt als Anlass die „Wiener Aufführung in italienischer Sprache, welche am 14. April 1823 im Kärntner-
thor-Theater stattfand“. Linke, Es musste einem was einfallen, Tutzing 1992, S. 55. Krenns Datierung erscheint glaubwür-
diger, da nicht anzunehmen ist, dass Lanner vier Jahre mit einer Bearbeitung gewartet hätte.
223 Linke a.a.O. S. 42.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Joseph Lanner
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Abmessungen
- 21.0 x 29.5 cm
- Seiten
- 752
- Schlagwörter
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang