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Formen
zu neuem Gestalten. Langsam bildeten sich eigene Anhänge heraus, die das Ende einzelner Sätze wie des
Werkganzen markierten.
Die Ausweitung der Coda ergab die Notwendigkeit großräumiger Disposition auch im Harmonischen.
Komponisten pflegten mit weiter entfernten Tonarten anzuheben (gerne mit der Subdominante, der
traditionellen Ausgangstonart fĂĽr Kadenzen), streiften Nebentonarten, ehe sie ĂĽber die Dominante zur
abschlieĂźenden Tonika zurĂĽckkehrten und diese mit instrumentalem Einsatz und satztechnischen Mit-
teln (Akkorde, unisono-Spiel, dynamische Überhöhung) als Erreichtes etablierten.
In Tanzzyklen gewinnt die Coda eine neue Bedeutung. „Coda steht über solchen Stellen, welche nach
dem förmlichen Schlusse gleichsam obenein gegeben werden.“231 Während eine Sinfonie, eine Sona-
te oder ein Kammermusikwerk mit ihrem Beginn bereits ihr klar definiertes Ende in sich tragen, ist
Tanzmusik zunächst unendlich. Wie alle Reihenformen liegt es in der Macht der Interpreten, einzelne
Teile aufeinander folgen zu lassen und willkürlich die Aufführung zu beenden. Einzelne Tänze waren
zunächst als individuelle Teile einer nicht durch das Werk selber konzipierten Gesamtfolge geschrieben,
ehe Komponisten mehrere Nummern zu Zyklen zusammenfassten, die nun ihrerseits einen definierten
Abschluss erforderten. Die Suite hatte ihre Folge per definitionem, Menuette, Teutsche oder Kontratänze
konnten beliebig kombiniert und beendet werden. Mehr die Physis der Tanzenden wie der Spielenden als
ein kompositorisch-gestaltendes Wollen definierte den Ablauf, der jeden Abend bei gleichen Werken ein
immer anderer sein konnte. So schließt die Coda ab, was unendlich sich fortsetzen könnte.
Mozarts „Sechs Deutsche Tänze“ KV 509, entstanden 1787, sind ein frühes Beispiel für einen Zyklus, wel-
cher durch eine Coda abgeschlossen wird. Den Abschluss der 1791 komponierten Deutschen Tänze KV
605 bildet eine „Schlittenfahrt“, an die sich eine Coda anschließt. Zwar endet auch diese Tanzkette mit
besagter Coda, deren Funktion ist hier aber eine gänzlich andere, deskriptive: sie setzt die „Schlittenfahrt“
fort und lässt die Tänze mit dem Posthorn-Signal ausklingen.
„Neue Wiener Ländler mit Coda in G“ ist der Titel der ersten gedruckten Ländlerfolge von Lanner. Die
Coda (durchaus ambitioniert gestaltet) war ihm wichtig genug, um sie eigens im Titel zu erwähnen.
In den ersten Tänzen Lanners stehen nur sehr kurze Schlüsse, die erste längere Coda findet sich in op. 5
mit einem eigenem Thema, welches noch nicht in den vorangegangenen Tänzen vorkam. Generell ist in
diesem Zeitabschnitt die Coda noch nicht aus Material der vorangegangenen Tänze gebaut, sondern mit
eigenem Themenmaterial.
„Aufforderung zum Tanz“, op. 7 gestaltet den Codabeginn mit dramatischen Mitteln (Trompetenfanfa-
ren), erstmals wird ein vollständiger Walzerteil (Nr. 1, 2. Teil) zitiert. In der Coda des „Mitternachtswal-
zers“ op. 8 wird Zeit zu Musik: um Mitternacht ertönt der Nachtwächterruf. Mit Signaltönen der Trom-
peten, ähnlich wie op. 7, eröffnet die Coda der „Dornbacher Ländler“ op. 9. Im „Terspichore-Walzer“
op. 12 kehren wir in der Coda wieder in die Unterwelt zurück, von der aus das Walzertreiben seinen
Ausgang genommen hatte.
Mit op. 20 („28ger-Ländler“) wird erstmals ein Galopp in das Finale eingeschoben, ehe das Werk gemütlich
im Ländlerton ausklingt. Das Prinzip, einen Galopp an das Ende der Walzerkette zu setzten, ist in op. 24:
„Eröffnungs-Walzer mit der wilden Jagd-Coda“ bereits im Titel angekündigt (siehe auch Kapitel „Galopp“).
Die nun folgenden Walzer (op. 29: „Jubel-Fest-Tänze“, lange Coda, erstmals mit deutlichem Tonart-
wechsel: Es-Dur, dann H-Dur; op. 30: „Redout-Carneval-Tänze“, sehr lange Coda, fast so lange wie die
gesamte Walzerkette davor, mit eigenen Themen) dehnen das Finale bedeutend aus, es erhält eigenständi-
ges Gewicht. Ab op. 80, „Lock-Walzer“, werden Teile von früheren Walzern nunmehr vollständig zitiert.
231 D. G. TĂĽrk, Clavierschule, Leipzig/Halle 1789, zitiert nach MGG S. 931.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Joseph Lanner
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Abmessungen
- 21.0 x 29.5 cm
- Seiten
- 752
- Schlagwörter
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang