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Titel
durch Europa, flinke Komponisten reagierten unmittelbar und schmĂŒckten ihre TĂ€nze mit klangvollen
Titeln: âMalapouâ, âOsagenâ und âAmazonenâ benannte Lanner seine Galoppe.
Die Forderung des Rezensenten nach poetischeren Titeln erfĂŒllt Lanner immer öfter. Götter und Helden
der Antike wie Amor, Prometheus und Orpheus finden sich in Ăberschriften, zunehmend wird Lanner
romantisch: âDie Romantikerâ op. 167 bezeichnen den Beginn einer Reihe von ausgedehnten Walzerpar-
tien, in denen Lanner den Geist des Titels in Musik zu ĂŒbertragen sucht. âAbend-Sterneâ, âLes Adieuxâ,
âIdealeâ regten die Phantasie der Zuhörer an und schufen das Bild des gefĂŒhlstiefen Komponisten, ĂŒber
das in den Zeitungen breit berichtet wurde und ĂŒber das im Folgenden noch zu sprechen sein wird.
Augenzwinkernd erinnerte Lanner auch an die gute alte Zeit, die in Wien stÀndig heraufbeschworen
wird. Ăber den Geschmackswandel um 1839, 1840 mit Aufkommen der Quadrille und Renaissance des
Menuetts wurde bereits gesprochen. Im âRoccoco-Walzerâ op. 136 erlaubte sich Lanner einen nostalgi-
schen Blick zurĂŒck: âSie erregten durch die AnklĂ€nge und das Hinneigen an Ă€ltere Compositionen, ein
besonderes Interesse. Vorzugsweise ergetzte sich an ihnen die Àltere Generation, die sich erinnerte, dass
man vor dreiĂig und vierzig Jahren auch bei Wilde und Peh[sic]atschekschen Melodien im SchweiĂe des
Angesichtes walzte, und bei den TrÀumen eines Haydn, Hummel und Mozart habe sagen können: das
war classisch getanzt. Unserer jungen Tanzwelt aber, die ihre Geschichtsstudien auch am Bronnen Terp-
sichorens zu schöpfen pflegt, ward es klar, dass man schon vor Erfindung des StrauĂ, Lanner, und der
Dampfmaschinen gewalzt haben mĂŒsse, wenn es auch urkundlich nicht erwiesen wĂ€re, dass die Wiener
schon in der frĂŒhesten Zeit als ein Lebens- und Tanz-frohes Völklein bekannt gewesen.â251
Abgesehen von Titeln fĂŒr ein ganzes Werk finden wir quasi Untertitel vor allem in Potpourris, wo ledig-
lich die Originalquelle bezeichnet wird, fallweise eigentlich ĂŒberflĂŒssige Hinweise dort, wo die Musik das
Offensichtliche ausdrĂŒckt: in Lanners âDie vier Jahreszeitenâ, einem nicht edierten FrĂŒhwerk, angelehnt
an Vivaldi, kommen Regen, Jagd und Heuernte zu musikalischen Ehren. Rhetorische Formeln beherrsch-
te Lanner wie jeder Komponist, spÀter verzichtete er auf solche Einzelereignisse und band sie in einen
gröĂeren Zusammenhang ein.
UngeklÀrt und einer weiteren Erforschung harrend ist die Frage nach dem Anteil der Verlage an der Titel-
wahl. Verlage waren geschĂ€ftstĂŒchtig, waren sich daher der Wichtigkeit eines zugkrĂ€ftigen, gut klingen-
den Titels bewusst. Ob sie lediglich VorschlÀge machten, ob sie gezielt Titel aussuchten, ob sie gar Titel
erfanden, bevor es noch ein Werk gab, ist weitgehend ungeklÀrt. Hinweise darauf finden sich versteckt in
Verlagsanzeigen und Rezensionen. Beliebt waren AnkĂŒndigungen am Beginn des Jahres fĂŒr die folgende
Carnevalssaison. Am 26. 12. 1837252 wurden neue TĂ€nze fĂŒr den Carneval 1838 angekĂŒndigt, immerhin
schon der Galopp âDie BestĂŒrmung von Constantineâ (der Titel bezieht sich auf die Eroberung der
algerischen Stadt Constantine durch Marschall Valée am 13. Oktober 1837, das Ereignis wurde in zahl-
losen Quodlibets nachgestellt, Lanners Galopp op. 127 trĂ€gt den genannten Titel). Unter âWalzer-Titelâ
erschien am 2. 1. 1840 ein eigener Artikel, der âÂ
⊠einen Blick in ihre [gemeint waren StrauĂ, Lanner etc.
Anm. d. V.] neuesten Compositionen fĂŒr das Jahr 1840 âŠâ machen lieĂ. âHui! da sieht es grausig ausâ,
fĂ€hrt der Rezensent fort und zĂ€hlt fĂŒr Lanner auf: âeinen Galop âSturmschrittâ, âDraguerrotypen-Bilderâ,
âKommst du mir so, komm ich dir so!â, âLiszt und Beriotââ usw.253 Ein Vergleich mit den tatsĂ€chlich ver-
öffentlichten Werken zeigt, dass kaum einer der Titel unverĂ€ndert ĂŒberlebte.
Ein beliebtes Spiel bei Ballveranstaltungen war die âTitelwahlâ. Einer noch unbezeichneten NovitĂ€t wur-
de per Los ein Titel zugewiesen, was manchmal zu eher merkwĂŒrdigen Ergebnissen fĂŒhren konnte, was
von Verlagen in der nachfolgenden Druckausgabe stillschweigend korrigiert wurde.
251 Theaterzeitung 19. 1. 1839.
252 Theaterzeitung 26. 12. 1837.
253 Theaterzeitung 2. 1. 1840.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Joseph Lanner
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Abmessungen
- 21.0 x 29.5 cm
- Seiten
- 752
- Schlagwörter
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, TĂ€nze
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂŒrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn â Werden â Sein 21
- VorlĂ€ufer â MitlĂ€ufer â Nachfolger 23
- Tanz 28
- BĂ€lle â TanzstĂ€tten â AuffĂŒhrungsorte 32
- Solisten â Ensemble â Kapelle â Orchester 39
- Akademie â AssemblĂ©e â Conversation â Piquenique â RĂ©union 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- WidmungstrÀger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen â Bibliotheken â Sammlungen 101
- FunktionalitĂ€t â Autonomie â Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik â Biedermeier 108
- Strahlender Stern â leuchtender Stern 112
- Rezension â Rezeption 113
- FlĂŒchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang