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Joseph Lanner – Leben und Werk
Lanners bleibendes Verdienst war, den „ … Walzer … zur Höhe eines selbständig interessanten Musik-
stĂĽckes emporgehobenÂ
… “ zu haben (siehe oben). Diesen Befund finden wir schon Jahre zuvor: „Â
… der
[gemeint ist Johann StrauĂź Vater, Anm. d. V.] mit Lanner einen neuen Geist in die Tanz-Compositionen
hauchte und ein sonst gering geschätztes Genre zu Ehren brachte.“261 Über Lanner hieß es nahezu gleich-
lautend: „Er [Lanner] war es, der zuerst in [sic] dieser früher so untergeordneten Gattung poetische Be-
deutsamkeit, und somit einen höheren Standpunct verlieh.“262
Wie immer man das „Charakteristische“ fassen will, das den Walzer auszeichnete (und nicht nur diesen,
aber bei ihm kommen Lanners und Strauß’ Qualitäten am deutlichsten zum Ausdruck), es sicherte ihm
sein Überleben abseits der Ballsäle und Faschingsredouten. Die Sorgfalt, mit der Gesamtanlage, thema-
tische Arbeit und Orchesterbehandlung bedacht wurden, hob sich nicht nur von der Massenware der
Zeitgenossen ab, sondern ĂĽberholte selbst Opern und Sinfonien des frĂĽhen 19. Jahrhunderts. Lanner und
Strauß wussten um die Grenzen ihrer Möglichkeiten – Ausflüge ins Theater hatten ihnen beiden nicht
gut getan –, dafür ernteten sie Anerkennung auf ihrem ureigensten Gebiet. „ … dies weist ihm [gemeint
ist Strauß, doch das Gesagte gilt sinngemäß auch für Lanner, Anm. d. V.] auch im Kreise der Kunst
eine Stelle an, und zwar um so mehr, als er sich immer in den Grenzen seiner Sphäre haltend, niemals
in die Gerechtsfame höherer Gattungen anmaßliche Eingriffe that, somit an dem jetzigen Verfalle der
Kunst keinen Antheil hat. In einer Zeit, wo die Oper einerseits ein prahlhaft, aufgedunsenes, hohläugiges
Nichts, andererseits einen ungenieĂźbaren Wirrwarr geschraubter Combinationen bietet, durch die man
uns glauben machen will, daĂź Abwesenheit und Bannung aller Melodie dramatischer Charakter sey, wo
die Symphonie die äußerer Gliederung und den Figurenbau des großen Todten [gemeint ist Beethoven,
Anm. d. Verf.] plĂĽndernd, winzige Gedanken mit behaglicher Breite und geleckten, zerflossenen Farben
pinselt, wo die meisten Arten der Kammermusik sich die Imbecillität des Salongeschwätzes mundbar ge-
macht haben, wo man im strengen Satze sich nicht schämt, die Tändeleien der modernen Oper anklingen
zu lassen, in einer solchen Zeit mĂĽsste es eine neue, ĂĽberraschende, vom nachhallenden Jubel der prosa-
ischen Menge begrüßte Wirkung seyn, wenn die gesammte Musik in einen Rinnsaal tänzelnder Weisen
geleitet, jeder Zweig derselben mit Walzerfirniß lackiert würde, wenn die Welt der Töne in einen großen
Hopstanz zusammenschrumpfte.“263
Dennoch wäre es ungerecht, Lanner lediglich als geschickten Lückenfüller zu sehen. Wie Haydn, konnte
er jahrelang mit einem eingeschworenen Ensemble ausprobieren, anders als jener musste er sich tagtäglich
vor einem kritischen und volatilen Publikum bewähren. Das Ausloten von Grenzen, die Variation des
Vorhandenen ist zu einem guten Teil dem Zwang geschuldet, permanent innerhalb eines enggefassten
Genres Routine oder gar Langeweile nicht aufkommen lassen zu dĂĽrfen. Wie viel an Anregung Lanner
von seinen engsten Mitstreitern in gemeinsamem Musizieren erfahren hat, lässt sich nicht abmessen. Er
war gut beraten, wenn er dafür aufnahmefähig war.
Lanner stand an der Schwelle zu einer neuen Zeit, in der der Interpret gleichberechtigt neben den Kom-
ponisten trat. Am Ende des 19. Jahrhunderts wird jener diesen ĂĽberholt haben. Mozart erschuf als Pianist
seine Klavierkonzerte im Moment des Spiels, der Dirigent Beethoven konnte seinen eigenen Werken
mehr schaden als nĂĽtzen. Post mortem erhielt der Sinfoniker Schubert den Rang, der ihm heute neidlos
zugestanden wird. Ăśber Rezensionen wird noch zu sprechen sein, vorweg sei festgehalten, dass der Inter-
pret Lanner einen mindestens so groĂźen, wenn nicht den ĂĽberragenden Anteil am Erfolg des Komponis-
ten Lanner hatte.
Interpretation – als Brücke zwischen den Intentionen des Komponisten und der Aufnahme durch den
Zuhörer – scheint einer wissenschaftlichen Betrachtung sich weitestgehend zu sperren. Bis zum Ende des
18. Jahrhunderts war die Personalunion Komponist - Interpret eine so selbstverständliche, dass Aspekte der
261 Theaterzeitung 31. 10. 1834.
262 Theaterzeitung 22. 8. 1839.
263 Theaterzeitung 27. 6. 1839.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Joseph Lanner
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Abmessungen
- 21.0 x 29.5 cm
- Seiten
- 752
- Schlagwörter
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang