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FunktionalitĂ€t â Autonomie â Interpretation
Wiedergabe nicht reflektiert werden mussten. Mit dem Aufkommen des autonomen Kunstwerks wurden
Fragen der Interpretation verstÀrkt gestellt: Sulzers Forderung nach vollkommener Darstellung des Cha-
rakters und Ausdrucks des StĂŒckes konnte nur von Musikern erfĂŒllt werden, welche auf höchstem Niveau
Diener am Werk und gestaltungswillig-selbstbewuĂte Herren (in seltenen FĂ€llen Damen) zugleich waren.
âDer wackere Lanner lieĂ seine Wundergeige tönen âŠâ264, so und Ă€hnlich wird Lanners Wirkung beim
Publikum beschrieben. âMan muss sie hören und von ihm hören, wenn man den Enthusiasmus der
Wiener begreifen willâ265, hatte es einen Monat zuvor ĂŒber die UrauffĂŒhrung der âAmoretten-TĂ€nzeâ
geheiĂen (gemeint sind die âAmoretten-Walzerâ op. 53).
Ob die Fama stimmt, Lanner hÀtte eine Stradivari-Geige aus 1724 besessen, welche seiner Tochter Katha-
rina spÀter wÀhrend einer Russland-Tournee gestohlen wurde, lÀsst sich nicht mehr verifizieren.266 Gesi-
chert ist der Besitznachweis fĂŒr ein Instrument von Franz Geissenhof aus 1817.267 Lanners Fertigkeit als
Violinspieler wurde bereits mehrfach erwĂ€hnt (â ⊠durch die schnellwechselnden pikanten Stricharten,
die er als geistige Nuancirung seines Spiels meisterhaft anzubringen weis.â268, â ⊠wo seine Leichtigkeit
und Sicherheit, mit welcher er ĂŒber die schwierigsten Passagen hinweggleitet, der reine Strich und das
GefĂŒhl, mit dem er derlei schwierige Piecen vortrĂ€gt, allgemeine Bewunderung erregen.â269), sein Spiel
war aber nie Selbstzweck: âWenn seine einschmeichelnden Zaubertöne bald wie zartes LiebesgeflĂŒster
erklingen, bald wie die FlĂŒgel der Windsbraut dahinstĂŒrmen, dann zertheilt sich der Nebelvorhang des
dĂŒsteren GemĂŒthes, und ein Himmel voll Geigen lacht dem Horchenden entgegen.â270 Gleich Orpheus,
der mit seinem betörenden Geigengesang Cerberus und die Furien zu besÀnftigen wusste, zog Lanner das
Publikum in seinen Bann. Als Komponist schrieb er sich die Partien auf den Leib, als Interpret setzte er
sie adĂ€quat um. Dem Klavier gegenĂŒber nutzte er alle klanglichen Vorteile der Geige wie des Orchesters,
reizte die Bandbreite von Emotionen aus, ohne in billigen Kitsch zu verfallen. Er traf den Tonfall, der der
Stimmung seiner Zuhörerschaft entsprach, mischte Heiterkeit mit Melancholie, hellte trĂŒbe Winteraben-
de auf, begleitete den selbst bei strahlendstem Sonnenschein Misanthropen. âÂ
⊠wo seine gemĂŒthlichen,
zum Tanze lockenden Melodien ertönen, da schwindet der böse Gast MiĂmuth und glĂ€ttet die vom
Kummer gefurchte Stirn des mal-content.â271
Beklagt wird hĂ€ufig, dass es fĂŒr klassische und frĂŒhromantische Musik keine durchgehende AuffĂŒh-
rungstradition gÀbe. Die Tanzmusik seit Lanners Zeit kann stolz darauf verweisen. Weit mehr als in
Sinfonien und Opern ist der Interpret bei Lanner und Strauà gefordert: die vielfÀltigen Tempomodifi-
kationen, das augenzwinkernde âAls obâ, das fĂŒr den richtigen Vortrag charakteristisch und unerlĂ€sslich
ist, das sich nicht notieren und nie erklĂ€ren, sondern nur ausprobieren, spielen und spĂŒren lĂ€sst (und da-
mit regelmĂ€Ăig zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen um die âRichtigkeitâ der Interpretation
wird), bilden nicht nur Teil der Komposition, sondern sind dessen Voraussetzung. Wie Gustav Mahler
schuf Lanner kleine Kosmen, die Freude und Trauer, Werden und Vergehen, SimplizitÀt und KomplexitÀt
der Welt auf kleinstem Raum zu versammeln wissen. âSeine [Lanners] Walzer sprechen in musikalisch-
allegorischer Weise von dem Wohl und Wehâ der ersten Liebe, vom Herzklopfen, von Treulosigkeit und
Aussöhnung; seine Walzer schildern in elegischen Tönen einen ganzen modernen Roman. Man möchte
dabei bald vor Lust vergehen, wenn man nicht wĂŒsste, daĂ alles nur â Musik sei.â272 Wie Schubert, der
in seinen Liederzyklen Lebensbilder von der Wiege bis zur Bahre skizzierte, stellte Lanner die einzelnen
Walzerteile unter die ĂŒbergeordnete Idee, in nicht ganz zwölf Minuten ganze Dramen an uns vorĂŒber-
ziehen zu lassen.
264 Theaterzeitung 10. 11. 1831.
265 Theaterzeitung 13. 10. 1831.
266 Lanner-Katalog S. 177.
267 Ebd.
268 Theaterzeitung 25. 2. 1837.
269 Der Wanderer 22. 8. 1840.
270 Theaterzeitung 24. 10. 1833.
271 Der Wanderer 5. 2. 1841.
272 Der Wanderer 6. 3. 1841.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Joseph Lanner
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Abmessungen
- 21.0 x 29.5 cm
- Seiten
- 752
- Schlagwörter
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, TĂ€nze
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂŒrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn â Werden â Sein 21
- VorlĂ€ufer â MitlĂ€ufer â Nachfolger 23
- Tanz 28
- BĂ€lle â TanzstĂ€tten â AuffĂŒhrungsorte 32
- Solisten â Ensemble â Kapelle â Orchester 39
- Akademie â AssemblĂ©e â Conversation â Piquenique â RĂ©union 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- WidmungstrÀger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen â Bibliotheken â Sammlungen 101
- FunktionalitĂ€t â Autonomie â Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik â Biedermeier 108
- Strahlender Stern â leuchtender Stern 112
- Rezension â Rezeption 113
- FlĂŒchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang